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Kameramann Carlo Di Palma: Mit dem Licht am Limit

Mit Klassikern wie „Blow Up“ hat der italienische Kameramann Carlo Di Palma Kinogeschichte geschrieben. Sein Filmschaffen ist in dem Film „Water and Sugar“ dokumentiert, den seine langjährige Ehefrau Adriana Chiesa produziert hat. Im Interview für unser Heft 7-8/2019 gibt sie Einblick in die Arbeitsweise von Carlo Di Palma, nach dem der Europäische Filmpreis für das Lebenswerk benannt ist.

Foto: Birgit Heidsiek

Die Karriere von Carlo Di Palma begann 1941, als er mit fünfzehn Jahren als Kamera-Assistent von Luchino Visconti „Besessenheit“ („Ossessione“) gedreht hat. Später folgten „Rom, offene Stadt“ („Roma città aperta“) von Roberto Rossellini und „Fahrraddiebe“ („Ladri di biciclette“) von Vittorio de Sica. Insgesamt hat er über 100 Filme gedreht, darunter „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni sowie dreizehn Filme mit Woody Allen. Vor 15 Jahren, am 9. Juli 2004, starb Carlo Di Palma in seinem Geburtstort Rom.
Im Dokumentarfilm „Water and Sugar“ über das Leben und Wirken von Di Palma zeigt der Regisseur Fariborz Kamkari, wie dessen Kunst des visuellen Geschichtenerzählens Regisseure auf der ganzen Welt inspiriert hat. Zugleich ist die Doku eine filmische Reminiszenz an das Goldene Zeitalter des Kinos, das in Italien durch den Neorealismus geprägt war.
Zahlreiche Filmausschnitte aus Klassikern geben Einblick in die Arbeit dieses außergewöhnlichen Kameramanns, der auch in Berlin an der Akademie der Künste mit Studenten gearbeitet hat. „Mit diesem Film möchte ich junge Menschen dazu ermutigen, herauszufinden, was sie in ihrem Leben anstreben“, erklärt die Produzentin Adriana Chiesa, die ihrem verstorbenen Ehemann Carlo Di Palma mit „Water and Sugar“ nicht nur einfach ein Denkmal setzen will. „Dazu gehört, keine Kompromisse einzugehen und sich hundertprozentig seiner Arbeit zu widmen.“ Fast zehn Jahre hat es gedauert, die entsprechenden Filmausschnitte aus Archiven zusammenzustellen und die Rechte zu klären, um diese visuelle Reise durch die Filmgeschichte realisieren zu können. Für die Doku hat sie mit Kamkari zahlreiche Regisseure interviewt wie unter anderem Ken Loach, Bernardo Bertolucci, Nikita Michalkow, Wim Wenders, Ettore Scola, Volker Schlöndorff und Woody Allen, mit dem Di Palmas Zusammenarbeit Mitte der 1990er Jahre mit „Hannah und ihre Schwestern“ begann. „Water and Sugar“, der von New York über Moskau bis Hongkong auf internationalen Filmfestivals präsentiert worden ist, hat diverse Dokumentarfilmpreise erhalten. „Ich freue mich sehr, dass der Film nun Eingang in die Sammlung der Italienischen Kulturinstitute auf der ganzen Welt gefunden hat“, sagt Chiesa, die „Water and Sugar“ auch den Kinos und Filmschulen in Deutschland gerne zur Verfügung stellt.

Warum haben Sie Ihren Dokumentarfilm „Water and Sugar“ genannt?
Der Filmtitel geht auf eine Geschichte aus Carlos Leben zurück. Carlo wurde als das jüngste von sieben Kindern in Rom geboren und ist dort in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Seine Mutter war Blumenverkäuferin und hat ihn als Säugling in einem Korb zu ihrem Stand auf der Piazza Vittorio mitgenommen. Wenn es regnete, hat sie ihn dem Fahrer der Straßenbahn anvertraut, die nach einer einstündigen Tour durch Rom wieder zur Piazza Vittorio zurückkehrte. Wenn der kleine Carlo unterwegs während der Fahrt geweint hat, hielt der Fahrer die Straßenbahn an und ging mit ihm in ein Café, wo er ihm zur Beruhigung Zuckerwasser eingeflößt hat.

Inwiefern ist seine Arbeit als Kameramann durch die Filme des italienischen Neorealismus geprägt worden?
Carlo schaute als Elfjähriger nach der Schule öfter bei den Dreharbeiten in dem Filmstudio Saf Palationo in Rom zu, weil sein älterer Bruder dort gearbeitet hat. Dort hat unter anderem Vittorio De Sica gedreht, der ihm damals seinen ersten Fotoapparat geschenkt hat. Carlo nahm damit Standfotos auf, die er zuhause entwickelt und diese am nächsten Tag De Sica vorgelegt hat. Einige seiner Fotos wurden tatsächlich genommen, manche aber auch nicht. Als Visconti 1943 „Ossessione“ („Bessessenheit“) drehte, waren nahezu alle Männer in Italien in den Krieg eingezogen, so dass er ein neues Team zusammenstellen musste. Er engagierte Carlo, der damals fünfzehn Jahre alt war, als ersten Kameraassistenten. Daraufhin fuhr Carlo mit dem Zug zum Dreh nach Ferrara. Er hat sehr viel von Visconti gelernt: Musik, Bücherlesen, Stil, Eleganz, Kultur.

Wie sah seine Zusammenarbeit mit so unterschiedlichen Filmemachern wie Michelangelo Antonioni, Bernardo Bertolucci und Woody Allen aus?
Carlo hat großen Wert darauf gelegt, nur mit den Regisseuren zu arbeiten, die ihn interessieren. Zu diesen Filmemachern hat er immer eine sehr gute Beziehung aufgebaut. Neben Michelangelo Antonioni, Bernardo Bertolucci und Woody Allen gehörten dazu auch Ettore Scola und Mario Monicelli. Er hat gemeinsam mit dem Regisseur ein Lichtkonzept ausgearbeitet, um das jeweilige Drehbuch und die Empfindungen der Protagonisten entsprechend umzusetzen.

Was war das Charakteristische bei seiner Arbeit als Kameramann? 
Zum einen hat Carlo sehr gerne in Schwarz-weiß gedreht. Er hat immer sehr wenig künstliche Lichtquellen eingesetzt, was gar nicht dem Stil in Hollywood entspricht. Mitunter hat er sogar nur mit Kerzenlicht gearbeitet. Carlo konnte sehr gut mit wenig Licht auskommen, weil er ein Gefühl dafür besaß. Er kannte sich mit dem Filmnegativ aus und brauchte fast nie einen Belichtungsmesser. Als er mit Antonioni „Blow Up“ in den Pinewood Studios gedreht hat, fand dort parallel die aufwändige Produktion von Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ statt. Carlo setzte hingegen kaum Licht im Studio und arbeitete nur mit den Scheinwerfern, die er selbst konstruiert hatte. Der Kameramann Geoffrey Unsworth war davon so fasziniert, dass Carlo dem Kubrick-Team nach dem Drehschluss seine Scheinwerfer überlassen hat.

Was waren das für Scheinwerfer?
Es waren kleine Lichteinheiten, die aufgehängt werden konnten. Carlo hat sie Pinzas genannt.

Hat er zum Dreh auch sein eigenes Kameraequipment mitgebracht?
Nein, aber er hat immer darauf bestanden, auf Kodak-Film zu drehen. Das Material musste immer im Kopierwerk von Technicolor entwickelt werden. Das waren seine Bedingungen, wo immer er auch auf der Welt gedreht hat.

Foto: Acek S.R.L

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Woody Allen?
Als Woody Allen „Blow Up“ gesehen hatte, schickte er Carlo ein Telegramm, dass er gerne mit ihm arbeiten möchte. Carlo hat darauf aber nicht geantwortet. Woody ließ nicht locker, aber er musste 14 Jahre auf eine Antwort warten. Er hat ihm vor jedem neuen Film immer wieder eine Anfrage per Telegramm geschickt. Als ich später dazukam und die Telegramme von Woody entdeckte, habe ich Carlo gefragt, warum er nicht darauf reagiert. Carlo erklärte, dass er lieber in Italien mit den Regisseuren arbeitet, die er gerne mag. Als sich Woody Allen schließlich wieder bei ihm gemeldet hat, war er bereit, sich das Drehbuch anzuschauen – es handelte sich um das Skript von „Hannah und ihre Schwestern“. Woody Allen schickte eine Assistentin mit dem Drehbuch nach Rom und gab Carlo 24 Stunden Bedenkzeit. Er ging zu dem Treffen, las das Skript, kam nach Hause und bat mich, Woody Allen ein Telegramm zu schicken, dass er sehr gerne mit ihm arbeiten möchte. Ich habe diese Telegramme immer noch. Daraus ist eine langjährige Zusammenarbeit entstanden, denn Carlo und Woody hatten eine sehr ähnliche künstlerische Sichtweise. In fünfzehn Jahren haben sie dreizehn Filme zusammen gedreht.

Heutzutage gibt es immer mehr technische Möglichkeiten, aber nicht unbedingt großartigere Kinobilder. Woran liegt das?
Kameramänner haben mit ihrem Know-how der Lichtsetzung und Kameraführung stets die Regisseure unterstützt. Heute stehen sie oft unter dem Zeitdruck, einen Film schnell abdrehen zu müssen. Es gibt kaum noch Kameramänner, die künstlerisch das Licht setzen. Hinzu kommt der Einfluss durch das Fernsehen, wo großer Wert auf Schärfe und Helligkeit gelegt wird.

Was sollte jungen Filmemachern und Kameramännern vermittelt werden?
Junge Filmemacher sollten zu ihren Ideen stehen und keine Kompromisse akzeptieren. Dazu gehört, seine Leidenschaft zu kultivieren, die unser Leben erfüllen kann. Das gilt für alle Art von Fähigkeiten. Carlo kam aus einer sehr armen Familie, die davon überzeugt war, dass es sich lohnt, sich für ihre künstlerische Freiheit einzusetzen. Dafür haben die italienischen Regisseure damals gekämpft. Wim Wenders hat Carlo gebeten, an der Akademie der Künste in Berlin zu unterrichten. Er hat sehr gerne mit Studenten gearbeitet und immer betont, dass er sie nicht unterrichtet, sondern etwas von ihnen lernt.

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