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Die Geschichte von Ötzi zum ersten Mal als Spielfilm

So kam es zum Westernlook bei “Der Mann aus dem Eis”

Jetzt ist er im Kino zu sehen: “Der Mann aus dem Eis”. Für unsere Ausgabe 1-2/2017 sprachen wir mit DoP Jakub Bejnarowicz über die Dreharbeiten bei dem Projekt, von dem ein Großteil in mehr als 3.000 Metern Höhe gedreht wurde. Hier lesen Sie den ersten Teil des Artikels.

Felix Randau (rechts) bespricht mit Jürgen Vogel die Szene.
Felix Randau (rechts) bespricht mit Jürgen Vogel die Szene. (Bild: Foto: Port au Prince Film & Kultur Produktion)

MÖGLICHST OHNE HANDKAMERA

Bejnarowicz nutzt Festbrennweiten und dreht überwiegend zwischen 35 und 55 mm. Lange Brennweiten schätzt er nicht so sehr, ist lieber näher dran an den Figuren. “Ich spüre gerne den Abstand zwischen der Kamera und dem Darsteller, ohne dass eine Nähe vorgetäuscht wird, die Kamera aber weit weg ist. Außerdem finde ich, dass die Anamorphoten in ihren Normalbrennweiten am schönsten sind. Das Bokeh, sowie der Übergang zwischen Schärfe und Unschärfe sind hier am harmonischsten – sehr plastisch und räumlich.” Ötzi ist ein Roadmovie zu Fuß durch die Bergwelt mit einigen Kampfszenen.

Dennoch kommt das Team praktisch vollständig ohne Handkamera aus. Überwiegend werden einerseits die Steadicam von Operator Benjamin Treplin eingesetzt, andererseits Kräne mit Remote Heads und natürlich das Stativ. “Wir sind sehr bewegt und sehr nahe an Ötzi dran, aber trotz der Nähe zur Figur und zur Natur sollte die Kamera möglichst unsichtbar bleiben. Wir wollten, dass die Kamera einen eigenen Rhythmus entwickelt, sich auch mal vom Geschehen entfernt, um dann wieder einzutauchen. Das hatte zur Folge, dass Kamerabewegungen von sehr Nah bis Total stattgefunden haben, dass hätte mit einer Handkamera zu sehr viel Unruhe geführt – das wollten wir vermeiden.”

Die Szenen, in denen das Dorf überfallen und nieder gebrannt wird, wurden als Plansequenz komplett mit der Steadicam aufgenommen. “Gerade in den Szenen, in denen es hektisch wurde, haben wir stets versucht cool zu bleiben, eine gewisse Ruhe und Distanz zu bewahren, um auf diese Art und Weise dem Kampf und der Gewalt in einer Szenen mehr Ausdruck zu verleihen, aber auch um Assoziationsräume zu öffnen.” Das bedeutete aber auch, dass der Kran manchmal in unwegsamen Gelände in 3.200 Metern Höhe auf dem Grat eines Berges aufgebaut werden musste. “Das war eine immense Herausforderung an das Kamerabühnenteam unter Carsten Eisenach.”

Vor allem am Anfang des Films, bewegt sich die Kamera sehr viel in einer Einstellung von Innen nach Außen. Das war eine besondere Herausforderung an das Lichtdesign. Die steinzeitlichen Hütten hatten sehr kleine Fenster, der Kontrast zwischen Innen und Außen war enorm. “Wir haben viel mit HMI der ARRI M-Serie gearbeitet. Dazu KinoFlos und LEDs.” War das Kontrast- oder Anschlussproblem mit klassischer Beleuchtung nicht in den Griff zu kriegen, wurde es mit der Wahl der richtigen Tageszeit gelöst. “Oft haben wir 2/3 des Drehtages geprobt, um die komplizierten Choreografien einzustudieren, aber auch damit das Licht am Ende des Tages genau stimmt. Wir haben viel in der Dämmerung gedreht, und sind dafür hohe Risiken eingegangen, denn drei Minuten am Stück in der Dämmerung, das ist schon eine Herausforderung. Jeder im Team hat genau verstanden, dass wir nur zwei Versuche haben, dann ist das Licht weg. Der Druck war groß, aber am Ende ist es immer gut gegangen. Das waren die tollsten Momente, zu sehen, wie alle im Team hochkonzentriert an diesen Einstellungen arbeiten, genau wissend, dass jeder Fehler den Shot und damit die Sequenz zerstören kann, denn dann wäre es einfach dunkel gewesen und wir hätten abbrechen müssen.”

Extreme Wetterbedingungen in 3.000 Metern Höhe: Das Kamerateam trotzt dem eisigen Wind.
Extreme Wetterbedingungen in 3.000 Metern Höhe: Das Kamerateam trotzt dem eisigen Wind. (Bild: Foto: Port au Prince Film & Kultur Produktion / Jakub Bejnarowicz)

KEINE OFFENE BLENDE

Die Szenen, in denen Ötzi auf seine Feinde trifft und sie stellt, sind im 1.400 Meter hohen Pfitschertal entstanden. Eine kleine Lichtung umgeben von Felswänden, dort steht ein kleines Zeltlager der Feinde. Dort wurden die Kampfszenen zwischen Ötzi und seinen Feinden gedreht, es galt Tages- und Nachtszenen zu bewältigen, einschließlich Innenaufnahmen im Zelt bei Nacht. Die anamorphotischen Hawk-V-Lite-Objektive erlauben es nicht mit offener Blende zu arbeiten. “Man sollte Anamorphoten schon ein wenig abblenden. Nachtaufnahmen mit Blende 4 waren für mich eine relativ neue Herausforderung, da ich von sphärischen Objektiven viel offenere Blenden gewohnt war.”

Bejnarowicz dreht auch hier Nachtszenen möglichst in der späten Dämmerung. In Kombination mit Lichtquellen im Bild, wie Lagerfeuer und Fackeln, lässt sich die Illusion von Nacht erzeugen. “Wieder ein Stück Westernästhetik – früher wurde sehr viel ‚Day for Night’ gedreht. Die großen, weiten Landschaften kann man nicht leuchten, man will sie in manchen Szenen aber trotzdem spüren. Heute haben wir das Glück, mit sehr lichtempfindlichen Sensoren arbeiten zu dürfen, so dass ich Nachtszenen in der Dämmerung simulieren konnte. Eine Herausforderung an Drehplan und Timing.”

In Innenräumen wurde viel mit Feuer geleuchtet und je nach Szene mit Kunstlicht und entsprechenden Folien verstärkt, um einer Blende 4 gerecht werden zu können. Oberbeleuchter Tommy Schulz mischte im Auftrag von Bejnarowicz viele Quellen. “Wenn ich es besonders ,flirrend‘ haben wollte, habe ich die Blende auch mal ganz aufgemacht – ich finde toll, was da an optischen ,Fehlern‘ passiert. Diese Fehler als Gestaltungsmittel einzusetzen, das macht Anamorphoten so wahnsinnig spannend.”

Originalschauplätze: Dreh am Gletscher.
Originalschauplätze: Dreh am Gletscher. (Bild: Foto: Port au Prince Film & Kultur Produktion / Jakub Bejnarowicz)

Für seinen Kameraassistenten Gregor Grieshaber waren die Optiken auch eine Herausforderung. “Ich war es gewohnt, dass der 1st AC bei meinen sphärischen Filmen die Schärfe nach einem kleinen Kontrollmonitor gezogen und beurteilt hat. Hier war das oft kaum möglich, da die Monitore einfach zu klein waren, um wirklich die Schärfe beurteilen zu können. Daher hat Gregor Grieshaber wieder oft zu den alten Mittel gegriffen, viel gemessen und die Schärfe geschätzt.”

Bis sich Ötzi-Darsteller Jürgen Vogel und auch die anderen Darsteller in Steinzeitmenschen verwandelten, verbrachten sie morgens bis zu zwei Stunden in der Maske und Garderobe. Jürgen Vogel agiert in allen Szenen in seiner Montur, die aus gegerbtem Leder und Tierfellen besteht, den ebenfalls aus Leder gefertigten Schuhen, er schultert seinen Rucksack aus gleichem Material, hängt sich Pfeil und Bogen um und im Gürtel steckt sein Beil mit der Kupferklinge.

Kamerarigging über Schluchten
Kamerarigging über Schluchten (Bild: Foto: Port au Prince Film & Kultur Produktion / Jakub Bejnarowicz)

Bejnarowicz hat schon einige Filme mit Vogel gedreht, dessen Erfahrung und Professionalität der DoP sehr schätzt. “Jürgen ist ein Megavollprofi, der hat schon ein paar Filme gedreht und weiß genau, was notwendig ist. Aber ich glaube, dieser Film war eine besondere Herausforderung für ihn. Er ist die meiste Zeit alleine unterwegs in den Bergen. Seine Begleiter sind eine Ziege, ein Baby und der Drang nach Rache. Es war toll zu sehen, wie Jürgen diesem nonverbalen, archaischen, brutalen, aber auch sehr menschlichen Ötzi Leben eingehaucht hat.”

Bejnarowicz bedankt sich bei dem ganzen Team für die Strapazen und hebt insbesondere die Tiroler Kollegen hervor: “Sie haben uns ‚Flachlandtirolern’ mit ihrer Professionalität, ihrer Improvisationskunst und ihrem wahnsinnigen Engagement ermöglicht, in den Bergen zu bestehen. We crossed the bridge when we got there.”

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Dieser Film hat wirklich eine spezielle Atmosphäre. Interessant zu lesen, wie solche Effekt durch Filmtechnik entstehen. Ich selbst, bin eher ein Fotograf von Porträts.

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