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Die Sony PXW-FX9 in der Praxis

Neuer Maßstab?

Vorgestellt auf der IBC 2019, war die Sony PXW-FX9 noch gar nicht auf dem Markt, als unser Autor Uli Mors ein Vorserienmodell der neuen Kamera ausführlich ausprobieren konnte. Er gibt regelmäßig Schulungskurse für den Hersteller und bekam so exklusiven Zugriff. Den ersten Teil seiner Erkenntnisse gab es in unserer Ausgabe 1-2.2020 zu lesen.

Was ist ein „Vorserienmodell“? In der Kürze beantwortet das der Sony-Ingenieur in etwa so: Die Kamera wird bereits aus Serienteilen zusammengesetzt und mit der vorhandenen Firmware bereitgestellt. Sollten sich in der Test- und Praxisphase, bei Präsentationen, Testdrehs und Qualitätschecks Gründe finden, die Hardware in Details doch noch verändern zu müssen, ist das bis zur endgültigen Serienproduktion noch möglich. So hat sich Sony relativ spät dazu entschieden, die FX9 im „VENICE-Grau“ auf den Markt zu bringen. Alle Vorseriengeräte sind noch schwarz.

Erster Eindruck

Erst einmal fällt natürlich die Nähe zur FS7 auf – jedoch wirken alle Bedienelemente aufgeräumter, das Menü wird mit einem großen gerasterten Drehknopf bedient, und daran gewöhnt man sich wirklich schnell. Das seitlich auch noch vorhandene Menü-„Fadenkreuz“ mit Minitasten gewinnt dagegen keinen Designpreis, ist aber im Alltag auch nahezu überflüssig.

Schön: Die Unterseite ist fast identisch zur FS7 – die meisten vorhandenen Schulterplatten passen weiterhin. Auch die Schrauben des Haltegriffs sind gleich, aber die FX9 ist minimal breiter und länger als die FS7. Ganz umschließende Cages werden wohl nicht mehr passen. Das gilt auch für einfache V-Mount Adapter, denn Sony hat den externen DC IN auf 19,5 Volt gesetzt.

Alle wichtigen Taster lösen bei kurzem Druck die Funktion aus, zum Beispiel die Umschaltung Gain/AGC), bei langem Drücken bieten sich tiefergehende Funktionen an. So hat der White-Balance-Taster endlich auch die Presets für 3.200K, 4.300K , 5.600K und 6.300K im direkten Angebot. Mit dem Menürad kann man auch rasch die Einträge im Sucher anfahren, um sie direkt zu verändern. Wie oft wurde ich bei anderen Kameras gefragt, wie man schnell den Weißabgleich anpassen kann, jetzt: hinscrollen, auswählen, hoch- oder runterkurbeln. Sony nennt das „Direct Menu“. Schnell tauchen Schlagworte auf wie „VENICE Sensor“ und „VENICE Color Science“. Ich habe beim Entwickler-

team nachgehakt: „VENICE und FX9 greifen auf die gleiche neue Sensortechnologie zurück.“ Es ist somit nicht der gleiche Sensor, aber die gleiche Technologie. Die Bildergebnisse sollen ähnlich sein.

Oversampling

Warum sehen die HD-Aufnahmen aktueller 4K- Kameras so gut aus? Die Antwort: Oversampling!
Die bisherige FS7 macht keine Ausnahme, da an ihren HD-Aufnahmen sämtliche 4K-Pixel beteiligt
sind. Dieser Überhang wird dann zu HD-Auflösung herunterkonvertiert, vier Pixel werden zu einem.
Das führt unter anderem zu einem homogenen Rauschen, denn einzelne 4K-Bildpunkte enthalten deutliches Farbrauschen. In der heruntergerechneten Variante aber homogenisiert sich das Rauschen und wird „filmischer“. Hier setzt die FX9 nun auch für 4K-Aufnahmeformate an: Um auch in UHD oder 4K DCI einen Oversampling-Vorteil zu bekommen, muss der Sensor höher aufgelöst sein. Die FX9 liefert in dem Fall 6.008 × 3.168 Pixel und rechnet diese Auflösung über einen Oversampling-Prozess auf 3.840 × 2.160 (in Zukunft auch 4.096 × 2.160) oder HD herunter.

Davon profitiert die ganze Bild-Ästhetik. 4K- und HD-Aufnahmen wirken scharf, aber nicht elektronisch, Auflösung wird sichtbar, tritt aber nicht als Raster in den Vordergrund. Das tut dem Bild wirklich gut – jetzt auch in 4K. Beim ersten Einrichten ist die Formatvielfalt verwirrend – das Display zeigt „FF 6K 3840×2160“, „FF 6K 1920×1080“ oder auch „FF 2K 1920×1080“. Ein Blick in die Kompressionsformate zeigt: Wie der Sensor ausgelesen wird, entscheidet der Anwender.

  • 6K mit 6.008 × 3.168 Pixeln für 4K DCI, UHD oder HD, zurzeit mit max. 30p
  • 5K für 4K DCI, UHD oder HD, max. 60p (zukünftig)
  • 4K S35 Crop für 4K DCI, UHD oder HD, max. 60p

Außerdem kann ein 2K-Raster über den Sensor gelegt werden:

  • 2K Fullframe Readout für HD (high framerates), max. 120p
  • 2K S35 Crop Readout für HD (high framerates), max. 120p

Zeitlupen mit mehr als 60 fps sind somit derzeit den 2K- Readouts vorbehalten, via RAW OUT sollen aber auch 4K mit 120 fps möglich werden. Um es noch einmal deutlich zu machen: Die FX9 nimmt nicht in 6K auf, sondern nutzt 6K oder 5K grundsätzlich für ein besseres Bild, das in 16:9 (UHD, HD) oder 17:9 (4K DCI, geplant) skaliert wird. Für echte anamorphotische Formate ist die Kamera also zurzeit nicht ausgelegt – es fehlen auch jegliche Sucher-Anzeigeoptionen dafür. Hier offenbaren sich die Unterschiede zur VENICE.

VENICE und FX9 teilen sich aber die „rückseitige“ Belichtung des Sensors, namentlich EXMOR R-CMOS. Bisher durchliefen die Lichtstrahlen nach der Mikrolinse eines Bildpunktes diverse Leiterbahnen, um dann erst auf die fotoempfindliche Schicht zu treffen. Mit viel Aufwand wird die Struktur umgedreht: Die Lichtstrahlen treffen nach der Mikrolinse auf die Fotoschicht, darunter liegen die Leiterbahnen. Das hört sich in Platinendimensionen gedacht leicht an, ist aber in der Chip-Mikroelektronik extrem schwierig zu realisieren, da Leiterbahnen und Fotozellen in mehreren Schichten generiert werden und exakt aufeinandertreffen müssen. Gelingt es wie beim EXMOR- R-Sensor, hat das den Vorteil größerer Lichtempfindlichkeit und Dynamik.

Dual Base Iso

So wie die VENICE verfügt die FX9 über eine Dual Base ISO für volle Dynamik bei ISO 800 oder ISO 4.000. Bisher dachte ich, das wäre ein digitaler Trick, um verschiedene Empfindlichkeiten des Sensors zu erzeugen. Kei Takahashi, Produktmanager bei Sony, hat es mir so erklärt: Das Licht erzeugt auf dem Sensor eine Spannung, die über den 16- bit-Wandler abgenommen wird. Wichtig ist, welche Spannung der „Start“ für den Wandler sein soll. Der Trick für Dual ISO ist, den Wandler analog auf zwei unterschiedliche Bereiche des Sensors zu legen. Quasi ein analoger Schalter, der die 16 bit entweder tief in den Schatten oder hoch in den Highlights des Sensors anlegt.

Im Gain/ISO Menü der FX9 findet sich ein Parameter zur Umschaltung von „LOW ISO“ (800 ISO) auf „HIGH ISO“ (4.000 ISO). In beiden Varianten liefert die FX9 dann nativ eine Dynamik von mehr als 15 Blendenwerten. Um diese Grundwerte herum kann man die Verstärkung in Grenzen variieren, etwa ISO 320 auf Basis von 800 oder ISO 12.800 auf Basis von 4.000. Speziell für LOG und RAW ist Dual Base ISO extrem interessant.

In der Praxis

Hohe ISO-Werte des neuen Sensors und 6K auf 4K Oversampling: Wie sieht das aus? Kurz gefasst: Man nehme einen 65-Zoll-Monitor, schalte dessen Bild-Tricksereien aus und spielt das UHD-Material mit ISO 12.800 und Oversampling ab, die In-Camera-Noisereduction werksseitig auf „mid“. Kamerakollegen stellen sich 30 Zentimeter vor den Bildschirm, um mit dem Finger auf einzelne Stellen zu zeigen.

Die Aufnahmen sind nicht rauschfrei. Aber sie halten meiner Meinung nach jeder TV-Ausstrahlung ohne Diskussion stand. Ich habe die Entwickler schon gefragt, ob sie nicht ISO 25.000 implementieren könnten. Man kann sich ja dann selbst entscheiden? Ohne Frage: die FX9 setzt bei Sony neue Maßstäbe für das Drehen in Low Light. Konzertmitschnitte bei f 4.0 oder f 8.0 haben für mich ihren Schrecken verloren. Dabei will ich fair bleiben: Wir reden bisher über das Auslesen in 6K. Leider ist der Sensor dabei limitiert auf 30p. 50p und 60p sind aber möglich bei S35 4K Crop, dem bisherigen FS7-Modus, und in Zukunft mit 5K Crop.

Ein Wermutstropfen: HD-Crop ist zur Zeit nicht implementiert. In der Vergangenheit wurde ja viel diskutiert, dass der HD-Crop der FS7 eine deutlich schlechtere Bildschärfe aufweist. Die RGB-Auflösung ist dann vom Sensor selbst für HD zu gering. Ich schlage Sony trotzdem vor, diesen Modus zu implementieren. Denn vor allem EB-Kameraleute wünschen sich einen „digitalen Extender“ aus 4K nach HD heraus, und die schlechtere Auflösung nimmt man ohne A/B- Vergleich nicht direkt wahr.

Facetracking und Autofokus sind eine wirkungsvolle Kombination für Dokumentarisches und Situatives.

Die echten 2K-Readouts der FX9 sollte man wie bei der FS7 mit Vorsicht anwenden. Meine ersten Experimente zeigten ziemlich viel Moiré, was zu erwarten war. Schließlich ist 2K-Readout das genaue Gegenteil von Oversampling, es fallen Details durch das Raster. Allerweltsmotive sind in Ordnung, Netze, Linien und Rastermotive eher schwierig. Hier müsste man den optischen Lowpassfilter der Kamera wechseln. Das hat Sony seinerzeit mit der F5 und der F55 gemacht. Vielleicht ist ja durch digitales Filtern oder Prozessing noch eine Steigerung möglich? Warten wir die nächsten Firmware-Updates ab.

Autofokus

Die Autofokus-Funktionen ähneln denen der Sony-Alpha-Kameras. Besonders spannend: Facetracking! „Face only“ stellt nur automatisch scharf, wenn ein Gesicht erkannt wird. Praktisch, wenn sich der Moderator wegdreht oder das Gesicht zwischendurch zu klein wird. Die Schärfeebene bleibt dann einfach erhalten. „Face priority“ konzentriert sich auf Gesichter, erlaubt aber auch normalen Autofokus, wenn kein Gesicht im Bild ist. Ideal für den Wechsel von Menschen zu Gegenständen. Meine Erfahrung: Durch geschickte Tastenbelegungen, vor allem am Zoomgriff, kann man sich auf bestimmte Situationen vorbereiten.

Ich weiß: Das Lager ist bei diesem Thema zweigeteilt! Für szenische Drehs haben die meisten autofokusfähigen Optiken zu schlechte manuelle Fähigkeiten, hauptsächlich einen zu kleinen und nicht echt mechanischen Ziehweg. Daher dürften szenische Anwender darauf verzichten oder werden Kompromisse eingehen müssen. Der Rest der Welt wird vom Autofokus profitieren, vor allem für Dokumentarisches und Situatives.

Ich habe mit der Kit-Optik in Vollformat mit Blende 4.0 und 28-135 mm gedreht und dabei „Face tracking“ als Push auf eine Taste am Zoomgriff gelegt. Speziell geeignet für Fernseh-Aufsager, Interviews, Zweier, Dreier, O-Töne, Liveschalten – spätestens nach solchen Tests denkt man als Kameramann anders über Autofokus! Es geht wirklich nicht um einen Dauerautofokus für Touristen mit der Hoffnung, dass die Kamera das Motiv trifft. Es geht um das gezielte Auslösen eines Face-Autofokus für Gesichter oder Objekte. Selbst dynamische Moderationen direkt in die Kamera bei Blende 2.0 machen Spaß! Deshalb sollte man testweise mal ein Sony FE 35mm f 1.8 auf die Kamera packen und damit Interviews machen. Dank der hohen ISO-Möglichkeiten sind dann auch f 5.6 oder f 8.0 bei schlechteren Lichtverhältnissen möglich. Man hat es eben wieder selbst in der Hand. Schärfentiefe und Belichtung widersprechen sich damit kaum noch. [11432]

 

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