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DoP Matthias Bolliger dreht mit der neuen Lumix S1H

Familienbande

Mit der Lumix S1H präsentiert Panasonic eine spiegellose Vollformatkamera mit professionellen Video-Features. DoP Matthias Bolliger hatte vor Verkaufsstart der S1H die Möglichkeit, das neue Lumix-Flaggschiff konkret für unser Heft 12.2019 zu testen und setzte die Kamera bei gleich zwei Produktionen ein.

Machen wir es kurz. Ist die neue Lumix S1H eine Mini-Varicam? Irgendwie schon, aber nicht nur. Ist sie Nachfolgemodell der bekannten Lumix DC-GH5 und GH5s? Schwerer und massiver, aber ja, durchaus. Also ein Mix der Welten? – Das kann man sagen, denn das „H“ im Namen steht auch für Hybrid und verbindet den Vollformat-Sensor mit hochwertigem internen 4K 10 bit 4:2:2- Recording, Dual-Native-ISO, Full V-Log/V-Gamut, LUT-Management und Preview, Timecode In-/Out und einem optionalen anamorphotischen 4:3-Modus. Bleiben noch Wünsche offen? Einige wenige. Alles richtig gemacht? Vieles jedenfalls. Welcome to the family.

Doch der Reihe nach. Meine Varicam-Familiengeschichte begann 2015 mit dem Launch der Varicam 35. Mit ihr drehte ich zwei Tatorte und nutzte ihre Low-Light-Option mit Dual-Native-ISO für die 4K-Weltraum-Dokumentation „Mission im All“. Mit der darauf folgenden kompakteren Varicam LT und der Varicam 35 entstand der Kinofilm „Nur Gott kann mich richten“. Bei einem dritten Tatort war 2018 die Varicam LT als Hauptkamera und die neu erschienene EVA1 als B- und Gimbal-Kamera mit von der Partie. Die EVA1 kam auch als C-Gimbalkamera in Staffel 2 und der finalen Season 3 von „4 Blocks“ neben zwei ARRI ALEXA Mini, die als A- und B-Kamera dienten, zum Einsatz. Erweitert wurde das Line-up mit einer GH5s für Specials, Bodyrig-Shots und Undercover-Drehs an Orten ohne Dreherlaubnis, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr der Berliner Verkehrsbetriebe BVG.

Nach „4 Blocks“ begann ich ernsthaft darüber nachzudenken, die GH5s vermehrt im dokumentarischen Bereich einzusetzen. Und da war es, das passende Projekt: „Miss Holocaust Survivor“. Mit schmalen Budget und großen Ambitionen begleitete diese Dokumentation den Schönheitswettbewerb der israelischen Psychologin für Trauma-Therapie Dr. Izabela Grenberg, die Holocaust-Überlebenden Damen im hohen Alter noch etwas geben will, was die meisten so nie erlebten: das Zelebrieren der eigenen Schönheit. Die GH5s wurde unsere A-Kamera, mit der wir fast sechs Wochen in Haifa, Jerusalem und der Negev-Wüste im Süden des Landes drehten. Im dokumentarischen Umfeld lernte ich das Micro-Four-Thirds-Format mit seiner verringerten Schärfentiefe schätzen. In Kombination mit einem DJI Ronin S und den Panasonic/Leica DG Vario-Zooms entstand so ein äußerst kompaktes Setup für bewegte Aufnahmen. Zusätzlich nutzten wir den Metabones XL 0,64x Speed Booster, um die Vollformat-Xenon-Primes von Schneider Kreuznach zu verwenden.

DoP Matthias beim Dreh von “Awakening”

Die GH5s verfügt über eine abgespeckte Variante des Varicam V-Log, das sogenannte V-Log L mit einem definierten Dynamikumfang von etwa 12 Blendenstufen, gegenüber mehr als 14 bei den größeren Geschwistern. Erst in einen direkten Shotout in der Vorbereitung der finalen dritten Staffel von „4 Blocks“ konnte ich aber zwischen dem V-Log der EVA1 und dem V-Log L der GH5s einen sichtbaren Unterschied in der Post ausmachen. Umso gespannter wartete ich auf die in diesem Frühjahr auf den Markt gekommene Lumix S1. Die Kamera überzeugte nach Software-Updates mit Vollformat sowie APS- C-Modus, Full V-Log mit 14 Blenden Dynamik und LUT- Management, hatte aber immer noch nur eine Datenrate von 4K 10 bit 4:2:2 LongGoP und kein TC In-/Out. Das war noch nicht der große Wurf in die Videowelt des Vollformates.

Panasonic Lumix S1H

Doch kaum war die S1 auf dem Markt, kündigte sich die S1H an, als echter Brückenschlag zwischen dem Video-Profisegment und einer Lumix-Kamera im Vollformat. Hier passen im Mov-Container-Format nun sogar 5,9K-Aufnahmen auf schnelle SD-Speicherkarten, dies dann allerdings in 4:2:2 und 10 bit im LongGoP-Format mit 200 Mbps. Daher konzentrierte ich meine Test- und Produktionsplanungen komplett auf 4K und die 400 Mbps-Varianten mit All-Intra. Die möglichen Aufnahme-Modi der Lumix S1H sind so umfangreich, dass ein Untermenü mit Suchoption hilft, zwischen den 26 aktuell verfügbaren Varianten zu wählen. Die Freiheit, je nach Anforderung zwischen mehreren Formatgrößen wie Vollformat oder S35 und damit verbunden Schärfenverläufen wählen zu können, eröffnet ein erweitertes kreatives Spielfeld. Praktisch, dass der Trageschlaufen-Ansatz der Kamera genau auf Sensorebene montiert ist und somit als Maßband-Haken für klassisches Schärfemessen genutzt werden kann.

Das schwarz-weiße LCD-Status-Display

An der S1H fällt als Erstes der um einen Lüfterschacht er- weiterte Rücken des S1H-Bodys auf und da ist es wieder, das schwenk- und ausklappbare Display – Merci! Der integrierte Sucher gehört sicher zum Bestem, was ich an einer semi-professionellen Kamera je gesehen habe. Zu schade, dass dieser sich nicht wie das Display vertikal schwenken lässt. Neu und äußerst praktisch ist dafür das schwarz-weiße LCD-Status-Display an der Oberseite der Kamera. Damit können nun mehr Infos frei konfigurierbar dargestellt werden, so etwa auch der Audiopegel. Anders als bei der S1, die mit je einem SD- und einen XQD-Speicherkartenslot versehen ist, weist die S1H wieder zwei SD-Cardslots auf: durchaus sinnvoll, im schnellen Wechsel einer Videoproduktion auf einer Kartenbasis zu bleiben.

Das Killerfeature der gesamten Varicam-Familie, die Dual-Native ISO mit zwei getrennten Schaltkreisen für die beiden Empfindlichkeiten, ist auch im jüngsten Spross der Familie integriert. Die Low-Basis ist mit 640 ISO, die High- Basis mit 4.000 ISO definiert. Einen Dokumentarfilmer muss man nicht lange fragen, was er mit 4.000 ISO anfangen soll. Im szenischen Bereich stellt sich diese Frage schon eher. Doch erweiterte Optionen für Available-light-Szenen, Zooms bei Nacht-Shots oder Specials wie Pol-Filter bei Nacht und veränderte Shutterzeiten und Schärfentiefen bei Zeitlupenaufnahmen werden dadurch einfacher. Eine erhöhte ISO-Zahl bedeutet dann allerdings meist auch, aktiv mit Negativ-Fill, also der Kontrastdefinition der Schatten mit Fahnen, Floppys oder Rollmöpsen zu arbeiten, denn 4.000 ISO sind szenisch in den meisten Fällen nur gestaltet interessant.

Look- und LUT-Management

Kurz gefasst sind sogenannte LUTs Kontrast- und Farbanpassungen für die Vorschau eines späteren Looks. Damit können flache, logarithmische Signale von Kameras direkt am Set vorkorrigiert werden und ergeben so einen Ein- druck der später gewünschten visuellen Umsetzung. Wer also schon eine LUT zum Preview in die Kamera einlädt, definiert Belichtung und Weißabgleich gleich auf Basis dieses Looks und stimmt ihn schon bei der Aufnahme am Set dezidiert ab. Das Motto „What you see, is what you get“ bekommt so eine neue Bedeutung. Und dies bringt uns zum LUT-Management der S1H. Etwas, was zum Bei- spiel der AU-EVA1 als kleinstes Mitglied der professionellen Broadcast Familie komplett fehlt, die GH- und S1-Familie aber darstellen kann, sind sogenannte VLT-files mit je 17×17×17 RGB-Stützpunkten. Diese können direkt in DaVinci Resolve exportiert werden und definieren so die Farbverschiebungen und Sättigungsänderungen in einzelnen Farbtönen und Belichtungsstufen. Auf eine SD-Karte ins Stammverzeichnis kopiert und dann in die Kamera geladen, können bei GH- und S1-Series-Kameras vier interne Speicherplätze mit LUTs bestückt werden. Rec.709 und bypass V-Log sind daneben fest integriert und jederzeit anwählbar.

LUTs schon am Drehort einzusetzen, finde ich gerade im szenischen Bereich essenziell und politisch klug. Denn die Möglichkeit, alle Beteiligten von Anfang an auf einen gemeinsamen Look einzuschwören und nicht nach einem halben Jahr Schnitt im Final-Grading alle zu überraschen, macht so vieles einfacher und besser durchsetzbar. Dass diese Arbeitsweise nun auch in einer DSLM möglich ist, rechne ich der S1H hoch an. Auch die für Varicam-Kameras entwickelte Online-LUT-Library ist für die Lumix-Kameras kostenfrei nutzbar. Bei der Namensvergabe der LUTs ist generell zu beachten, dass die Kamera intern nur 7 Buchstaben des Namens darstellt. Weiter definiert die zeitliche Reihenfolge der Erstellung die Darstellungsreihenfolge und nicht etwas die alphabetische Benennung.

Der erste Dreh: “Awakening”

Im Vorfeld des Kamera-Releases Ende August entstand im Gespräch mit Panasonic die Idee, die neue Lumix S1H bei einen Spotdreh als Demo für die Möglichkeiten der Kamera und als Basis für die Launch-Events in Europa realen Setbedingungen auszusetzen. Dazu adaptierte ich ein Wooden Camera Universal-Rig für die S1H und nutzte für den Dreh die Sigma-Full-Frame-Primes in Kombination mit Schneider-Kreuznach-Rhodium-Filtern. Die Kamera erkannte das Vollformat der Optiken und ermöglichte so eine korrekte Darstellung im Kleinbild-Format. Aktuelle Daten wie die Brennweite wurden in den Sucher über- nommen.

Um dem 4K-Kurzfilm mit Inszenierungsebenen in 4.000 und 640 ISO zu ermöglichen, wollte ich in der Morgendämmerung im Hamburger Hafen drehen und damit die Kamera auch ziemlich fordern. Etwa 25 Minuten Morgendämmerung standen für den ersten Drehanschnitt mit 4.000 ASA zur Verfügung. Flexibel montiert auf einem Einbein-Stativ und mit interner Bildstabilisierung in 4K, hatte ich ein schnelles und flexibles Setup für die S1H. Weiter nutzte ich für zwei Rückblenden die Kamera komplett ohne Optik, nur mit der Gehäuseschutzkappe. In diese hatte ich ein hauchdünnes Loch gebohrt und so eine Mini- Lochkamera erschaffen. Die Kamera bat dann auch um die Definition der „Optik“! So ließ ich ihr Full Frame und 50 mm zukommen, damit die Vignettierung des Bildkreises auch beibehalten würde. Den zweiten Teil des Filmes bei Sonnenschein und 640 ISO entstand unter etwas weniger Zeitdruck im Anschluss.

Aufgrund des kurzes Vorlaufes der Produktion war eine anamorphotische Umsetzung für diesen ersten Testdreh nicht realisierbar. So nutzte ich die Vollformat Sigma-Optiken im abgekaschten 1:2,35 Cinemascope-Format und war positiv überrascht, dass sich die Framelines und Frameguides an der S1H mit definierbarer Abdunklung des Randbereichs nun einstellen ließen – was ich mir bei GH5 dringend gewünscht und als „feature request“ dann auch formuliert hatte. Auch erhört wurde die Bitte, das Aufnahme-Rotlicht im Sucher nicht mehr blinkend zu gestalten. Denn nicht nur einmal war ich beim Doku-Dreh in Israel für eine Sekunde unsicher, ob die Kamera nun lief oder nicht. Neu war auch die Waveform-Darstellung der Videopegels, die sich im logarithmischen Modus natürlich auf dieses flache Signal bezieht, egal ob eine LUT eingeblendet ist oder eben auch nicht. Die Möglichkeiten und Darstellungsoptionen der Kamera sind so umfangreich, dass ich mir fast gewünscht hätte, auf dem ausklappbaren Display den Kamerastatus und eine Waveform-Darstellung zu haben, während der Sucher das Kamerabild mit wenigen zentralen Aufnahmeparametern wiedergibt. Dies ist aktuell aber nicht möglich.

Go Anamorphic

Was sich bei ersten Test noch nicht umsetzen ließ, wollte ich nun bei der nächsten Gelegenheit ausprobieren: die S1H im Anamorphotic-Mode. Dazu bot sich der Reenact- ment-Dreh zu „Miss Holocaust Survivor“ an, der die Jahre im Versteck einer unserer Holocaust-Überlebenden in sze- nischen Aufnahmen bebildern sollte. Wir planten zwei Drehtage in den Wäldern Niedersachsens. Nach Rücksprache mit David Kellermann von Glaswerk aus Freiburg im Breisgau erhielt ich als einer der ersten DoPs die Möglichkeit, die neuen Glaswerk ONE Anamorphoten in einer realen Produktion zu testen. Die Breitbild-Vollformat-Optik weist neben einem szenischen Vintage-Look durch die Glaswahl und Beschichtung die Besonderheit auf, dass alle Zylinderlinsen vor der Blende angeordnet sind, um einen klassischen Frontanamorphen-Look mit den entsprechenden Streaks und Flares zu erzeugen.

Beim Reenactment-Dreh von „Miss Holocaust Survivor“setzte DoP Matthias Bolliger die neuen Anamorphoten von Glaswerk ONE ein.

Die S1H bietet im anamorphotischen Modus eine elektronische Entzerrung der Cinemascope-Bilder in mehreren Stufen von 1:1,3 bis zum klassischen 1:2-Format an. Dabei schafft es die S1H, sowohl das Sucherbild als auch eventuell vorhandenes externes Monitoring über HDMI zu entstauchen. Als Zubehör nutzte ich einen Zacuto Gratical HD Viewfinder und als Onboard-Regiemonitor einen Shogun Inferno. Im anamorphotischen 4K-Modus der S1H wird allerdings nicht die volle Höhe des Kamerasensors im 4:3-Verhältnis genutzt, daher müssten die Linsen eigentlich nicht Vollformat-Anamorphoten sein, wodurch sich das einsetzbare Optik-Portfolio grundsätzlich erweitert.

Fazit

Für mich jedoch ist die S1H ein würdiger GH5s-Nachfolger, nun im Vollformat. Man könnte sie fast eine Mini-Varicam in DSLM-Größe nennen. Dazu fehlt nur noch der interne ND-Filter und ein HD-SDI-Ausgang. Kann man noch was verbessern? Klar, da geht immer noch was. Ideal wäre eine Pixel-to-Pixel Fokusansicht auch während der Aufnahme, gerade bei einer Vollformat-Kamera. Ist die Kamera im Record-Modus, lässt sich diese Vergrößerung aktuell nicht mehr aufrufen. Weiter wäre es praktisch, wenn die SMPTE-Farbbalken auch für die technischen Einstellungen des Kameradisplays und -suchers nutzbar wären. Ruft man die Einstellung-Optionen der Displays auf, ist der zuvor eingeschaltete Farbbalken schon wieder automatisch deaktiviert. Aber ansonsten hat Panasonic vieles richtig gemacht. Daher: Willkommen in der Familie, Lumix S1H! [11030]

 

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Sehr schön geschrieben und absolut nachzuvollziehen! Mich hat auch die S1H im Sturm erobert und wird bei uns regelmäßig eingesetzt 🙂

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