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Dreharbeiten unter Hygieneauflagen

Mit Maßband und Maske

Zwar erschweren die durch die Covid-19-Pandemie erforderlichen Hygieneauflagen die Arbeit vor und hinter der Kamera, aber sie machen Dreharbeiten immerhin im Prinzip möglich. DoP Jochen Braune erläuterte für unser Heft 10.2020, wie sich diese neuen Rahmenbedingungen bei den Dreharbeiten zur TV-Serie „Notruf Hafenkante“ auswirkten.

„Das Zeitkorsett bei einer Serien-Produktion ist ohnehin sehr eng bemessen, doch durch Corona gestaltet sich die Arbeit vor und hinter der Kamera noch komplizierter“, erklärt Jochen Braune, der als Kameramann und Steadicam-Operator für etliche TV-Serien verantwortlich zeichnet und bei Kinofilmen wie „Simpel“ und „Schrotten!“ die Drohneneinstellungen übernommen hat. Die Teammitglieder von „Notruf Hafenkante“ haben sich zwar daran gewöhnt, eine Maske zu tragen, doch bei einer körperlichen Belastung erweist sich das als eine zusätzliche Herausforderung. „Ich drehe viel mit Steadicam. Es ist sehr anstrengend, dabei eine Maske zu tragen, weil das Atmen damit bei langen Gängen schwerer fällt.“

Das Tragen von Masken beeinträchtigt zudem die schnelle und reibungslose Kommunikation am Set. „Wenn ich mit dem Regisseur und den Schauspielern rede, sehe ich nur ihre Augen, wodurch es komplizierter wird zu erkennen, ob sie verstanden haben, was ich meine. Wenn ich dem Regisseur einen Vorschlag unterbreite, sehe ich normalerweise schnell, ob er ihm gefällt. Doch jetzt fehlt ein wesentlicher Teil der Information“, sagt der Kameramann. Hinzu kommt, dass die Crewmitglieder ihn akkustisch schlechter verstehen, wenn er ihnen etwas erklären möchte oder sie ihren Standort verändern sollen, damit sie nicht im Bild zu sehen sind. „Mit Maske ist es schwieriger zu erkennen, wer gerade redet.“

Beim Dreh mit der Steadicam ist die Schutzmaske besonders hinderlich.

Unsichtbarer Abstand

Aufgrund der vorgeschriebenen Abstandsregelungen können bestimmte Einstellungen nicht mehr gedreht werden. Das betrifft vor allem Totalen, bei denen mehrere Schauspieler im Bild zu sehen sind. „Bei Steadicam-Gängen führt der Abstand von 1,50 Metern zwischen zwei Schauspielern zu dem Effekt, dass ich statt einer schönen engen Zweier-Einstellung nur noch eine weite Einstellung drehen kann.“ Um das zu vermeiden, setzt der Kameramann auf Naheinstellungen, bei denen nur ein Schauspieler im Bild ist, so dass der andere Protagonist eine Maske tragen kann. Eine weitere Variante ist, dass die beiden Darsteller versetzt stehen und mit langer Brennweite von vorne gefilmt werden, damit es so aussieht, als ob sie sich nebeneinander befinden. „In solchen Fällen komme ich mitunter an den Punkt, dass ich mit unserem Hygienebeauftragten Dirk Dautzenberg über den Abstand verhandele. Wenn er mithilfe seines Maßbands feststellt, dass der Abstand nur 1,30 Meter beträgt, müssen die Schauspieler noch weitere 20 Zentimeter auseinanderrücken.“

Bei Umarmungsszenen funktioniert es gut, mit Schuss und Gegenschuss zu arbeiten. „Einer der Schauspieler trägt dann jeweils eine Maske.“ Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Maske hinter dem Ohr zu befestigen und beispielsweise durchsichtigen Fäden zu verwenden, die dicht anliegen. „Auf diese Weise können wir Naheinstellungen drehen.“ Küsse sind bei einer Serien-Produktion allerdings derzeit keine Option. Bei „Notruf Hafenkante“ werden die Drehbücher bereits im Vorfeld an die aktuellen Anforderungen angepasst, so dass sich das Team gar nicht erst überlegen muss, wie ein Kuss umgesetzt werden könnte. „Der Kuss wird von vornherein gestrichen.“ Damit sich alle Drehbuchsequenzen entsprechend realisieren lassen, sind die Kameraleute bei „Notruf Hafenkante“ bei der ersten und zweiten Regiebesprechung mit dem Autor dabei, die per Videokonferenz erfolgt. Dies gibt Jochen Braune die Chance, bei Bedarf zu hinterfragen, wie eine bestimmte Einstellung aufgelöst werden soll.

Quarantäne ist keine Option

Allerdings gibt es auch Bilder, auf welche die Produktion einfach verzichten muss. „Eine Totale, in der ein Polizist sich zum Beispiel ein Video auf dem Computer anschaut, seine Kollegen hinzukommen und ihn umringen, ist in Covid-19-Zeiten nicht mehr denkbar. „Normalerweise stehen die Schauspieler dabei dicht gedrängt nebeneinander, damit sie zusammen im Bild sind. Auf solche Aufnahmen müssen wir jetzt verzichten und können nur einzelne Köpfe drehen.“ Die Alternative wäre, dass die Schauspieler sich vorher fünf Tage lang in Quarantäne begeben. „Das wäre eine Option bei einem großen Kinofilm. Eine Serie kann sich das jedoch nicht leisten.“ Hinzu kommt, dass die Episoden-Darsteller bei einem Serienprojekt ständig von einem zum anderen Set wechseln. „Da sie durch die unterschiedlichen Produktionen viel mehr Kontakte haben, ist auch die Gefährdung größer.“

Die Maßnahmen für die Umsetzung des SARS-CoV-2- Arbeitsschutzstandards für Filmproduktionen ist von der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) genau definiert. Die je nach Gefährdungsbeurteilung zu treffenden Hygienemaßnahmen sind in einem dreistufigen Schutzkonzept aufgeführt. Unter die Schutzstufe 1 fällt die Unterschreitung des Mindestabstands zwischen zwei gleichen Personen, sofern sie kürzer als 15 Minuten pro Tag ist. Schutzstufe 2 bezieht sich auf den „normalen Umgang miteinander“, der eine Unterschreitung des Mindestabstands zwischen zwei Personen für mehr als 15 Minuten pro Tag vorsieht. Bei einer Unterschreitung des Mindestabstands mit Körperkontakt durch Kuss- oder Kampf-Szenen gilt die Schutzstufe 3, die vor Beginn und während des Drehs der entsprechenden Szenen eine fünftägige Kontaktreduzierung beinhaltet. Zudem sind vor Beginn des Drehs dieser Szenen mindestens zwei Tests innerhalb von drei Tagen vorzunehmen. Der zweite Test soll so kurz wie möglich vor Drehbeginn stattfinden und darf maximal 48 Stunden vorher erfolgen, was wiederum die Planungssicherheit für Produktionen erschwert. Diese Maßnahmen sollen sicherstellen, dass es nicht nötig ist, den ganzen Dreh abzubrechen und das gesamte Team in Quarantäne schicken zu müssen, falls eine einzige Person ein positives Testergebnis erhält. „Das ist bei Serienproduktionnen immens wichtig, weil alles genau durchgeplant ist“.

Kreative Lösungen finden

Eine kurzfristige Absage einer Produktion ist besonders schmerzhaft für die Teammitglieder, wenn sie noch nicht über einen Arbeitsvertrag verfügen. „In diesem Fall gibt es kein Kurzarbeitergeld“, weiß Braune. Da er als Kameramann mit der Steadicam und Drohnen von diversen Produktionen engagiert wird, arbeitet er in verschiedenen Bundesländern, in denen unterschiedliche Regeln gelten. „Aus diesem Grunde muss ich mich vorher informieren, welchen Regeln wir uns im jeweiligen Bundesland beugen müssen. Wenn sie strenger sind, ist es notwendig, kreativer zu werden.“

Die Trennwand aus Plexiglas im Auto ist von außen durch die Reflexion der Windschutzscheibe nicht zu sehen.

Kreativität ist auch bei der „Notruf Hafenkante“-Serie hilfreich, um bestimmte Einstellungen wie beispielsweise Autofahrten mit dem Polizeiwagen drehen zu können. Damit beide Schauspieler nebeneinander im Auto sitzen können, wenn dieses von außen gezeigt wird, befindet sich zwischen den beiden Vordersitzen eine Scheibe. „Diese Plexiglastrennung wird mit Saugnäpfen oben und unten befestigt. Die 2 Millimeter dicke Schnittkante ist durch die Reflexion auf der Scheibe von vorne nicht sichtbar“, versichert Braune. Dank dieser Vorrichtung können die beiden Hauptdarsteller ohne Maske nebeneinander im Auto sitzen, obwohl dabei der Abstand unterschritten wird. Allerdings darf die Trennscheibe nur eingesetzt werden, wenn eine temporäre Straßensperrung für den Dreh erfolgt.  [13403]

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Sehr interessanter Artikel, vielen Dank für die ausführliche Beschreibung des Drehs 🙂

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