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„Hinter der Kamera“-Podcast: Porträt der Editorin Florentine Bruck

Immer beim Zuschauer

Im „Hinter der Kamera“-Podcast begrüßte Gastgeber Timo Landsiedel in unserem Heft 10.2020 die Editorin Florentine Bruck. Nach ihrer intensiven Zusammenarbeit mit Hans-Christoph Blumenberg montiert sie bis heute viele TV-Krimis, beeindruckende Dokumentarfilme und Mischformen aus Doku und Fiktion. Zuletzt war sie an einem Debütfilm beteiligt. Florentine Bruck spricht über ihre Anfänge, den wichtigsten ihrer Dokumentarfilme „Aghet – Ein Völkermord“ und ihr Arbeitscredo.

Florentine Bruck ist sich sicher, dass ihr beruflicher Weg vorgezeichnet war: „Ich habe das Gefühl, für mich gab es überhaupt nie etwas anderes als Film.“ Sie wurde 1958 in eine Filmfamilie hinein geboren. Ihre Eltern arbeiteten in den 1950er Jahren beim Europa Filmverleih in München, ihr Vater war zudem Drehbuchautor. So befand sie sich von früher Kindheit an immer in Kontakt mit dem Medium Film. Schon als Kind sah sie viel Fernsehen, nicht nur die damals sogenannte „Kinderstunde“. „Ich habe mich damals schon durch das ganze Hollywood-Oevre geguckt“, erinnert sich Bruck. „Seit ich zehn, elf Jahre alt war, wollte ich Filme machen.“ Als Praktikantin begann sie in den 1980ern im Schneideraum von Klaus Dudenhöfer, eine der Montage-Koriphäen seiner Zeit. Eigentlich wollte sie wie viele in Richtung Regie, begann dann erst einmal mit Nummerieren und Wegsortieren. „Also habe ich den Weg über Praktika gemacht, erst im Kopierwerk, dann die Ochsentour von zweiter Assistentin, also monatelanges Nummerieren, bis zur ersten Assistenz“, so Bruck. „Und je mehr ich lernte, desto faszinierender fand ich es.“ Zwischendrin ging sie einige Zeit ans Set und arbeitete als Regie-Assistentin sowie Script Continuity. 1993 schnitt die Editorin schließlich ihren ersten Dokumentarfilm „Kleckerburg verloren“, ihre erste Zusammenarbeit mit Hans-Christoph Blumenberg. Mit Blumenberg verbindet sie in den 1990ern eine lange, fruchtbare Zusammenarbeit.

Guerrillafilme

„Rotwang muss weg!“ ist der zweite gemeinsame Film und auf mehreren Ebenen eine Besonderheit. Bruck schnitt den Film nicht nur, sie war in dem kleinen Team auch an dessen Produktion beteiligt. Am Set übernahm sie die Regie-Assistenz, begleitete den Film aber in der Tiefe von den frühen Ideen zum Konzept an. Schon zu Anfang des Films erläutern die Figuren in „Rotwang muss weg!“ geradeheraus ihre Funktion für das Buch direkt in die Kamera und setzen so den Ton für einen äußerst ungewöhnlichen Spielfilm. „Das waren unsere Guerillafilme, wie Hans-Christoph das bezeichnet hat“, sagt Florentine Bruck. „Wir waren ein sehr kleines Team, weil sehr wenig Geld da war. Wir haben viel improvisiert, waren aber alle mit Feuereifer dabei.“

Die Anarchokomödie ist schwer in eine Schublade zu stecken. Die Personalunion von Regie-Assistenz und Editorin war eine passende, so Florentine Bruck, dennoch würde sie das so nicht noch mal machen. „Ich werde ja verrückt. Da komme ich direkt vom Set in den Schneidraum und muss mir das alles, obwohl ich dabei war, noch mal angucken.“ Sie bemerkte vor allem, dass sie nicht unbefangen an das Material heranging, da sie um die teilweise schwere Entstehungsgeschichte der jeweiligen Szene wusste. „Das Schöne ist ja, dass ich üblicherweise als Editorin den frischen Blick auf das Projekt habe.“ „Rotwang“ wurde auf 16 mm gedreht und entstand dann in der Montage am klassischen Schneidetisch. Seitdem hat sich einiges geändert. Bild und Montage wurden digital und befreiten sich aus vielen Zwängen. Was bis heute geblieben ist, ist die Art und Weise, wie Bruck sich dem Material und dem Schnitt nähert. Voraussetzung ist, dass sie das Material eins zu eins sichtet, egal wie lange das dauert. Währenddessen setzt sie im Kopf bereits Passendes zusammen, Szenen entstehen. Die Entscheidung über einen Schnitt war vor 30 Jahren noch destruktiv und nicht reversibel. Die Klebestellen waren fehleranfällig und konnten nicht dauernd verändert werden. Daher weiß die Editorin die Errungenschaften der Digitalisierung durchaus zu schätzen. Der Rohschnitt muss jedoch erst mal stehen. Trimmen und framegenaue Anpassung kommt für Florentine Bruck auch heute erst, wenn die Szene in grober Form vor ihr liegt.

Rolle des Zuschauers

Immer jedoch achtet Florentine Bruck auf eine Hauptmotivation ihrer Arbeit. „Das ist meine Aufgabe als Editorin: Ich muss die Rolle des Zuschauers einnehmen“, so Bruck. „Ich muss immer wieder über den Tellerrand blicken und vergessen, dass ich das Drehbuch kenne, dass ich weiß, was der Regisseur will.“ Sie sieht sich als letzte Verteidigungsinstanz für das Verständnis des Films durch den Zuschauer. „Ich kann ja nicht einfach nur irrsinnig kreativ sein“, so Bruck. „Aber am Ende des Tages steht der Zuschauer da und sagt: ,Ich verstehe das Ganze gar nicht.‘“ Viele höchst unterschiedliche Projekte prägen Florentine Brucks Filmografie. Mit Blumenberg arbeitet sie auch bei dessen TV-Filmen bis in die 2010er zusammen. Ab Mitte der 1990er übernimmt Bruck die Montage für Spielfilme, Dokumentarfilme und Serien. Wie sie selbst sagt, ist die Auswahl oft eher dem regelmäßigen Einkommen geschuldet als einer Vorliebe, was Projekte angeht. Dennoch gibt es Filme, die ihr am Herzen liegen. So ist es kein Zufall, dass sie in den letzten Jahren immer wieder an bemerkenswerten Projekten beteiligt war. Eines der sicher eindrucksvollsten Werke ist der Dokumentarfilm „Aghet – Ein Völkermord“ von Eric Friedler, 2010 erschienen.

„Eric ist ein unfassbarer Rechercheur und unglaublicher Journalist, der unermüdlich arbeitet“, erklärt Florentine Bruck. „Er hat in wahnsinniger Kleinarbeit jeden Tag wieder neues Archivmaterial ausgegraben. Es war unfassbar, was Eric alles gefunden hat.“ Während Bruck und Friedler gemeinsam schon die Doku-Timeline schnitten, führte Friedler zusätzlich die nachgestellten Interviews mit den Schauspielern. Diese wurden dann in die historische Timeline eingearbeitet. Die Arbeitsteilung war sehr klar. Friedler war seit Jahren tief in das Thema eingearbeitet und wusste daher exakt, welche Aussage welche Bilder untermauern würde, und ob man eine solche Aussage oder ein Archivbild überhaupt zur Verfügung hatte. Florentine Bruck hingegen klopfte den Schnitt immer wieder auf Verständlichkeit ab. „Wir haben sehr sehr lange an diesem Aufbau gearbeitet. Die Behauptung, die dann bebildert werden musste.“ Ist das hinreichend plausibel gemacht? Was muss man dezidiert auserzählen? Was kann angedeutet bleiben?

Ein sensibles Thema war der Umgang mit Fotos und Filmmaterial, das Tote und Sterbende zeigte. Sollte man das wirklich zeigen? „Es ist alles drin, was wir zur Verfügung hatten“, sagt die Editorin. „Wir haben nicht diskutiert, ob wir es reinnehmen, sondern wie lange wir die Bilder stehen und wirken lassen.“ Inhaltlich, so sagt Florentine Bruck, sei „Aghet“ der schwierigste Film gewesen, den sie je gemacht hat und vermutlich auch der wichtigste. „Du kannst die Bilder irgendwann nicht mehr an dich herankommen lassen.“ Ihr Weg, damit umzugehen, war der Humor. Florentine Bruck und Eric Friedler versuchten bei der Arbeit eine gelöste Stimmung zu bewahren, bei aller Konzentration auf die dezidiert nachgezeichneten Schrecken, sich dadurch auch abzulenken.

Heino Ferch taucht in „Fritz Lang – Der Andere in uns“ in Langs Psyche und umfangreiches Archivmaterial ein. (Bild: W-film / Belle époque Steve Brookland)

In gewisser Weise ist bei „Fritz Lang – Der Andere in uns“ die Produktionsweise von „Aghet“ invertiert worden. Wo der Dokumentarfilm seine Authentizität aus den Spielszenen kreiert, stellt der Spielfilm „Fritz Lang“ sein Zeitkolorit über eingestreute und teils kunstvoll mit der Spielhandlung verwobene Dokumentaraufnahmen her. Mit Regisseur Gordian Maugg hatte Florentine Bruck bereits mehrere Projekte vorher produziert. „Ich habe es bei ,Fritz Lang‘ genau umgekehrt gemacht. Ich habe zuerst die szenischen Geschichten geschnitten“, sagt Bruck. Dann kamen nach und nach die Teile hinzu, die dokumentarischer Natur waren. Viele von diesen stammten aus dem Film „Berlin – Symphonie einer Groß- stadt“ von 1927. Dazu kam es, da die Murnau-Stiftung als Rechteinhaber Koproduzent war und dieses Material als Beistellung zur Verfügung stellte. Gleiches galt zudem für die Werke Langs, allen voran „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, um dessen Entstehungsgeschichte es in „Fritz Lang“ vornehmlich geht. [13406]

 

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