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Mut zur Reduktion

Dreharbeiten zu “Lasst die alten Sterben”

Heute läuft der Film “Lasst die Alten sterben” in den Kinos an. Für unsere Ausgabe 10/2017 berichtete DoP des Films, Simon Huber über die Zusammenarbeit mit Regisseur Juri Steinhart. Hier kommt der erste Teil seiner Einblicke in den Dreh.

(Bild: Foto: Florian Sievi, Lomotion AG)

Wenn Regie und Schauspieler improvisieren, muss die Kamera genau wissen, was sie tut. 

Seit über 10 Jahren suchen wir gemeinsam immer wieder nach innovativen Umsetzungsmethoden. Wir, das sind Juri Steinhart, Autor und Regisseur von Werbespots sowie freier Drehbuchautor & Regisseur von Spielfilmen, sowie ich, Simon Huber, international tätiger DoP für Werbung und Spielfilm aus der Schweiz.

Juris Stoffe sind stets sozialkritisch und direkt, seine Inszenierungsformen eigenwillig und expressiv. So fand sein letztes Werk, die satirische Trash-Mockumentary-Serie “Experiment Schneuwly” im Schweizer Fernsehen SRF1 breite Beachtung. Sämtliche neun Episoden dieser über weite Strecken improvisierten Groteske hatte ich ganz ohne Licht und auf einer einzigen 24-mm-Festbrennweite gedreht.

“Kevin ist jung, Kevin ist cool, Kevin ist wütend. Kevin will eine Revolution! Nur gegen was? Sein hübsch gepolstertes Leben langweilt ihn zu Tode. Also gründet er mit seinem besten Freund Manuel eine Kommune nach dem Vorbild der Achtundsechziger. Als Initiationsritual knallen die Neorevolutionäre ihre Smartphones an die Wand: Wieder echte Empfindungen; Drogen und Klauen, no more Social Media, weg mit Konventionen, raus aus der Konsumgesellschaft – das ist ihr Ziel! Es wird also gemeinsam geliebt, geschrieben, gekifft und nach Parolen gesucht. Gar nicht so einfach, wenn der Inhalt fehlt, die Wut verpufft und die eigenen Eltern die besseren Revoluzzer sind. “Lasst die Alten sterben” ist ein tragisch-komischer Film über eine Generation, die in einer Welt aus Zuckerwatte nach Luft schnappt.”

ARRI Alexa Mini im Gimbal am Easyrig: DoP Simon Huber mit Kamerassistent Christian Anderegg und Tonmeister Balthasar Jucker im Hintergrund.
ARRI Alexa Mini im Gimbal am Easyrig: DoP Simon Huber mit Kamerassistent Christian Anderegg und Tonmeister Balthasar Jucker im Hintergrund. (Bild: Foto: Florian Sievi, Lomotion AG)

AUTHENTISCHE FIGUREN

So titelt die Filmbringer Distributions AG das Spielfilmdebüt des Schweizer Drehbuchautors und Regisseurs Juri Steinhart. In der Hauptrolle: der aufstrebende Schweizer Jungschauspieler Max Hubacher, Produktion: Lomotion AG.

Aber zurück zu Kevin: Der Drang nach authentischen Figuren und glaubhaften Dialogen, sowie die durch das knappe Budget von “Lasst die Alten sterben” bestimmte kurze Drehzeit von 20 Tagen, führten dazu, dass sich der Regisseur auf die Inszenierungsform der Dialog-Improvisation festlegte. Die Schauspieler sollten ihre Einsätze erst dann frei und in ihren eigenen Worten formulieren, wenn die Kamera und der Ton läuft, also direkt beim ersten Take!

Sämtliche vorgängigen Buchbesprechungen, Schauspielund Stellproben wurden mit Drehbuchfassungen abgehalten, welche anstelle der Dialoge lediglich Stichwörter enthielten. Ziel dieser Arbeitsweise war, die Schauspieler in ihrer eigenen Figureninterpretation sprechen zu lassen, dadurch eine hohe Authentizität im Spiel zu erlangen und die Energie der jungen Schauspieltruppe maximal im Fluss zu halten.

Nun bedeutet Improvisation auch eine Fokussierung der Schauspieler auf die Unmittelbarkeit sowie die Befreiung von gewissen technischen Kriterien, und so fällt jede Wiederholung anders aus als die vorhergegangene Spielvariante. Darum, und weil bei dieser Art der Dialogisierung jede Wiederholung an Spontaneität und Authentizität verlieren würde, hieß unser erklärtes Ziel: jede Szene des Filmes wird in einem Take durchgespielt und Bild sowie Ton werden direkt aufgezeichnet. Diese Methode versprach nicht nur Glaubwürdigkeit im Spiel, sondern auch ein effizientes und zeitsparendes Arbeiten, was uns erst ermöglichte, das geforderte Pensum von 110 Szenen in 20 Drehtagen durchzubringen.

Voll im Bilde: Regisseur Juri Steinhart inszeniert eine Casting-Bewerberin.
Voll im Bilde: Regisseur Juri Steinhart inszeniert eine Casting-Bewerberin. (Bild: Foto: Florian Sievi, Lomotion AG)

Wie jeder andere Spielfilm verlangte auch “Lasst die Alten sterben” nach einem cineastischen Gestaltungswillen, einer die Figuren, deren Handlung und Emotionen unterstützenden Kameradramaturgie, einer durchdachten Tonalität der Bildwelt und der passenden Bildtextur. Wir haben uns stets die Frage gestellt, wie die Hauptfigur Kevin diesen Film gestalten würde. Die Zeitdokumente der Jugendunruhen in den 1980ern, Plattencover alter Punkbands, sowie die zahllosen selbstgebastelten Flugblätter zitierend, entschieden wir uns für eine rohe Bildtextur und eine enge Bindung der Bildästhetik an die Handlung.

EINSTELLUNGSWECHSEL PLANEN

Schnell sahen Juri und ich ein, dass sich die Mehrzahl der Szenen ausschließlich mit zwei sich auf unterschiedlichen Achsen bewegenden Kameras in variablen Einstellungsfolgen integral abdrehen lassen würden.

Die Vorarbeit bestand nun darin, alle Szenen an den Originalmotiven, anhand einer herkömmlichen Drehbuch-Fassung, auf zwei Kameras aufzulösen und grob zu fotografieren. Hierbei mussten wir stets die Realisierbarkeit unserer Inszenierung im Auge behalten, und eine Auflösung erstellen, anhand derer die zwei Kameras sämtliche Auftritte, Abgänge, Dialoge und sonstigen Gänge im passenden Rhythmus und den richtigen Einstellungsgrössen möglichst cineastisch einfangen konnten. Jeder Einstellungswechsel einer der Kameras innerhalb eines Takes musste im Vorfeld so geplant und abgestimmt sein, dass er jeweils von der anderen Kamera “gecovert” wurde. Sonst wäre der Schnitt unmöglich.

Kevin (Max Hubacher) und Manu (Julian Köchlin), Oberbeleuchterin Esther Mattei, Juri Steinhart und B-Kamera Operator Andi Widmer während der Casting-Szene.
Kevin (Max Hubacher) und Manu (Julian Köchlin), Oberbeleuchterin Esther Mattei, Juri Steinhart und B-Kamera Operator Andi Widmer während der Casting-Szene. (Bild: Foto: Florian Sievi, Lomotion AG)

Durch diese freie Inszenierungsform und das gleichzeitige Drehen zweier Achsen gelangte immer wieder das gesamte Motiv ins Blickfeld. Darauf musste ich auch die Lichtführung abstimmen.

Mein Licht- und Grip-Department setzte sich nur aus zwei Personen zusammen, und meine Listen mussten knapp und kostengünstig sein. Es waren also Mut zur Reduktion und ein gutes Auge für Available Light sowie die richtigen Kamerapositionen gefragt. Hierbei half es mir, dass ein großer Teil des Filmes in einem rotzig-punkigen Schwarz-Weiß-Look spielte. Da wir die Natürlichkeit des Lichtes suchten, akzeptierten wir auch die damit teilweise verbundene Unausgewogenheit des Kontrastverhältnisses.

Den zweiten Teil des Berichts von Simon Huber lesen Sie hier!

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