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Oberbeleuchter Bernhard Fuss im Interview

Von allem etwas mitnehmen – Oberbeleuchter Bernhard Fuss

Einerlei ob Set, Bühne oder Studio: alles wird besser, wenn es ins richtige Licht gesetzt wird. Davon kann einem niemand mehr erzählen als Bernhard Fuss: ein Oberbeleuchter mit über 35 Jahren Berufserfahrung.

Porträt von Oberbeleuchter Bernhard Fuss
Foto: Ernest Kazynski

Bernhard Fuss habe ich zum ersten Mal bei einem Bier am ARRI-Stand auf dem Camerimage zugehört. Gesehen hatte ich ihn da schon oft, etwa wenn er in den Seminaren der Kameraleute die Scheinwerfer mit ökonomischer Präzision gerückt, weggeräumt, ausgetauscht oder gesichert hat. Ihm und seinem Team zuzusehen hat eine beruhigende Wirkung, als würde man vom Meer umspült, nur dass dabei zentnerschweres Equipment und Hochspannungskabel mit der gleichen Leichtigkeit bewegt werden. Am Tresen bricht dann aber die Welle des sonst schweigsamen Handwerkers, und er schäumt über mit Anekdoten, die ein Fachwissen erahnen lassen, das hart erarbeitet wurde.

Wie bist du zum Film gekommen?
Damals, als die Privatsender aufkamen, bin ich über den Manager von Michael Schanze in Kontakt mit der Firma gekommen, die seine Show mit Technik ausgerüstet hat. Dann hat sich das so entwickelt, dass ich lichtmäßig mehr die Live- und Konzertschiene gemacht habe. So habe ich Leute kennengelernt und kam zum Fernsehen, in die Bavaria und habe Pult gefahren, tausende Sendungen, Musikvideos. Das habe ich vier Jahre lang gemacht, dabei die Firma Licht-Technik Hagenbach und Grill kennengelernt, denen ich auch wahnsinnig viel verdanke, weil ich da so brutal viel gelernt habe. Wir haben wahnsinnig viel Werbung gemacht mit denen, weil das damals die erste Adresse war. So ging das dann halt ein paar Jahre, man entwickelt sich da hinein, und ich lernte bei Licht-Technik von den besten Leuten. Ich hatte auch die Möglichkeit, Opern und Theater zu machen: Lichtdesign für „Zauberflöte“, „Carmen“ und Schauspiel. Ich habe den großen Vorteil, dass ich in so vielen verschiedenen Lichtsystemen gearbeitet habe, weil sich jede Art der Lichtgestaltung von der anderen unterscheidet. Das Schöne daran war, dass ich von allen etwas mitnehmen und auch wieder in den anderen einsetzen konnte. Da war ich also sehr glücklich. Im Theater lernt man zum Beispiel ziemlich viel über Sicherheit: Befestigung von Lampen, mit den Gewichten – da bin ich ein bisschen gestählt worden, was eine saubere Art des Arbeitens angeht. Ich war immer darauf bedacht, dass während des Aufbaus auch meine Kollegen entsprechend alle Sicherheitsregeln einhalten, um die anderen Gewerke, die sich auf der Bühne befinden, nicht in Gefahr zu bringen. Bei einer Tournee stehen dann ja auch die Künstler unter tonnenschwerem Lichtequipment, das permanent drei Stunden in Bewegung ist. Sicherheit ist oberstes Gebot und gilt genauso für Strom, Isolation, Erdung und diese ganzen Geschichten. „Formel Eins“ war dann 1987/88 der Einstieg zum bewegten Bild hin. Sensationell war das, da haben wir Dieter-Bohlen-Videos gemacht, Milli Vanilli für größere Nummern hatten wir dann den Rudi Dolezal und Hannes Rossacher aus Wien, die „DoRos“, die ja jeden vor die Kameras bekommen haben. Als Oberbeleuchter und Pult-Operator in einer Person für Thomas Gottschalks RTL Late-Night-Show – ungefähr 600 Folgen „Der Preis ist heiß“, 4 Tage die Woche, 4 Shows am Tag, das ist reine Gehirnwäsche. Und Hans-Joachim Kulenkampffs „Kulis Buchclub”, der musste nachmittags immer schlafen, da musste komplette Ruhe sein.

Stimmt es, dass du auch bei einem Michael Jackson Video dabei warst?
Das war „Give in to me“ mit Slash zusammen, da hängen im Hintergrund viele 24-kW-Dino-Lights herum, und weil die dann geflasht wurden, also immer 12 × 24, da hat man einen etwas größeren Generator gewählt, damit die Dinos beim schnellen Einschalten nicht ins Flackern geraten. Wir hatten einen 40-Fuß-Container mit einem 1,6- Megawatt-Generator von Aggreko. Dem Michael Jackson haben wir dann für die Close-ups aus ungefähr zwei Metern 30 kW ins Gesicht gehalten.

Da hat er noch die Augen aufgekriegt?
Michael Jackson ist der absolut unfassbarste Darsteller oder Performer oder Showstar oder Professional, den ich in meinem Leben gesehen habe. Ich durfte auch zwei Meter an ihn rankommen, wobei im Vertrag stand, man schaut ihm nicht in die Augen, Abstand 10 Meter. Ich war mit Uwe Hagenbach auf der Bühne, als sie die Close-ups mit ihm und Slash gedreht haben. Wir haben an diesem Musikvideo eine gute Woche gearbeitet, und Michael Jackson nur drei Stunden gehabt. Und der hat funktioniert, so was hast du ja noch nicht gesehen, einfach unfassbar. Das war so beeindruckend, ich denk heut noch daran. 1990/91 war ich mit der Bavaria durch und dann ging es in die Richtung, in der wir jetzt sind, mit Film und Werbung. Ich bin ja Perfektionist, deswegen mochte ich Werbung prinzipiell immer wahnsinnig gerne, weil es da auch entsprechendes Budget gibt, so dass man sich die Zeit nehmen kann, speziell bei Autowerbung. Früher beim Film war die Arbeit kameramäßig ja wirklich noch ein Handwerk, weil es Faktoren außerhalb deiner Kontrolle gab, die dazu führen konnten, dass das Erreichte eben nicht sichtbar wurde: Wir hatten zum Beispiel einmal eine Opel-Werbung mit Ward Russell gedreht, die Hackerbrücke in München komplett über Nacht gesperrt, ein Riesen-Aufriss mit drei Generatoren, hinten standen zwei V8-Gebläse mit Nebel. Es ging eigentlich nur um eine Einstellung: Das Auto fährt über die Brücke und die Metallkonstruktion spiegelt sich in den Scheiben und dem Lack. Das dann halt zwanzigmal, dann geht’s ins Kopierwerk, und die kopieren die 300-Meter-Rolle komplett schwarz. Feierabend. Was ist in diesem Fall zu tun? Das Kopierwerk sagt: Bitte sehr, hier ist eine neue Rolle 300-Meter-Film, das steht so in den Statuten. Haben sie dann tatsächlich gemacht.

Wie hast du die Kamera- und Lichttechnikentwicklung miterlebt?
Ich arbeite jetzt schon seit über 30 Jahren mit ARRI zusammen und habe denen sehr viel zu verdanken. Ich habe sehr viel von Bill Lovell gelernt, der leider viel zu früh von uns gegangen ist. Er war ja praktisch der Vater der D20 und D21 und hat mir sehr viel beigebracht. Beim Camerimage habe ich für das ARRI-Marketing gearbeitet und er war immer Master of Ceremony und Moderator unserer Show. Es ist ja wahnsinnig schwierig, bei diesen scharfen Kameras ein Objekt so auszuleuchten, dass man nirgendwo falsches Licht hat. Das ist dann mitunter eine Kunst, dass man etwas auch wirklich brillant aussehen lassen kann. Für mich liegt da auch ein großer Unterschied. Denn irgendeinen Filter kann man ja überall reinschieben, weißen oder schwarzen Pro-Mist, oder was die da früher immer genommen haben, damit man nicht so sieht, dass man davon keine Ahnung hat. Oder diese Sucht, alles mit dem Computer zu generieren, finde ich furchtbar. Ich bin Oldschool, ich mache halt Bilder. Für eine 400-Millionen- Dollar-Produktion, bei der man alles vor Grün macht – es geht mir jetzt nicht um ein spezifisches Projekt – kauft man einen hochdekorierten DoP an, der vor Grün fotografieren kann. Ich meine, geht’s überhaupt noch? Prinzipiell muss er da die Lichtstimmung gestalten, wie dann im Nachhinein die Landschaft, oder wo das spielt, eingesetzt wird, wo die Sonne herkommt, aber ich finde das wahnsinnig schade. Eigentlich braucht man da ja gar keinen DoP mehr, theoretisch könntest du ja Motioncapture und Facereplacement machen, mit einem Mega-Aufwand. Aber was ist das denn bitte für eine Kunst? Das ist Technik. Stimmungen zu verkaufen, das ist ja eigentlich unser Geschäft, und nicht Vorlagen zu basteln für etwas, das im Nachhinein generiert wird.

Welcher Film ist denn für dich gut beziehungsweise gut geleuchtet?
Ich mag wahnsinnig gern „Black Rain“ (1989, Regie: Ridley Scott), „Catch 22“ (1970, Regie: Mike Nichols), „Goodfellas“ (1990, Regie: Martin Scorsese). Aber ich muss schon zugeben, ich bin kein Cineast. Die Arbeit für den Film machen ist mir eigentlich viel lieber als den Film zu schauen.

Scheinwerfer bei Dunkelheit in großer Höhe an einer Kran-Plattform auf einem Filmset
Foto: Uli Nefzer

Und von denen, die du selbst geleuchtet hast?
Die gefallen mir meistens nicht! Ich mag „Die drei Musketiere“ (2011, Regie: Paul W.S. Anderson), obwohl ihn viele Leute nicht gut finden. Oder ”Der Schandfleck“ (1999, Regie: Julian Pölsler) und ”My Mother’s Courage“ (1995, Regie Michael Verhoeven).

Wie haben sich die DoPs über die Jahre verändert?
Früher hat man sich wahnsinnig lang anstellen und irrsinnig viel Dreck fressen müssen, bist man überhaupt mal so eine Kamera anfassen oder näher als zwei Meter herankommen durfte. Das hat ja zehn Jahre gedauert. Es gibt auch heute noch Assistenten, die ich von früher kenne, die wollen auch gar nichts anderes. Es macht überhaupt keinen Sinn, da etwas zu beschleunigen. Denn das hatten wir ja in den letzten zehn bis zwanzig Jahren, dass jeder Typ, der im Büro gerade noch Kaffee gekocht hat plötzlich DoP ist. Gab es ja oft genug, dass wir den DoPs gesagt haben, wie es geht. Aber hinterher stand deren Name darunter. Wenn es High-Budget ist, dann sind die halt extrem nervös und lassen dann auch entsprechend ihre Wut oder ihre Angst raus. Da muss man auch psychisch ziemlich stark sein und Contenance bewahren. Briten und ältere Herren, das sind meine Favoriten als DoPs, mit diesen Leuten kann man arbeiten. Oliver Stapleton zum Beispiel oder Ben Davis. Mit dem hab ich auch mal gearbeitet, das war einfach ein Vergnügen. Der ist auch im Kopf jung, und vor allen Dingen habe ich da gemacht, was ich wollte. Das Gestalterische der Leute kommt momentan wieder in den Vordergrund, was ich sehr begrüße. Den letzten Wim Wenders („Submergence“, 2017, Oberbeleuchter: Ronny Schwarz) haben wir mit dem Benoît Debie gemacht, ein sensationell guter Mann. Der ganze Film wurde auf 2.000 ASA gedreht, Tag oder Nacht, völlig egal, der Mann hat das einfach drauf gehabt. Der hat jedes eine Prozent von Licht, jeden Schatten, jedes Spill-Light gesehen, was er nicht im Bild haben wollte. Es war ein Genuss, mit ihm zu arbeiten und darüber hinaus war er noch ein sehr guter Mensch. Da sieht man dann auch, dass dein Wirken einen Sinn hat. Da macht das Arbeiten viel mehr Spaß. Wenn er Glück gehabt hat, dann war der DoP früher mal Assistent, wenn er keins gehabt hat, hat er studiert. Anstatt 10, 15, 20 Jahren als Assistent mit 400 DoPs gearbeitet, und 400 verschiedene Stile und Herangehensweisen gesehen zu haben, kennt er nur sich selbst als DoP. Deswegen ist die Zusammenarbeit mit Leuten, die von der Schule kommen, oft schwieriger, als mit Leuten, die so wie ich von der Straße kommen. Da sind Jungs mit einem Spot-Meter durchgegangen, um eine grüne Hohlkehle auszumessen, und haben dann gesagt, da fehlt noch ein Zehntel. Ein Mann wie Phil Murray, der aus Australien ist und 35 Jahre im Geschäft, den frage ich, ob wir da nicht was mit dem Grün machen müssen, und dann sagt der halt: „So lange ich das seh’, brauch ich da nichts.“ Dann arbeitest du mit solchen Leuten, die wissen, was sie tun.

Hast du Lieblingsjobs? Ein Lieblingslicht?
Also ich mach gern Beauty, Fashion mach ich auch gerne und habe mit Bernie Grill eine Chanel-Modenschau im Louvre in Paris gemacht. Solche großen Geschichten machen mir immer sehr viel Spaß. Aber dass ich sagen würde, ich hätte jetzt eine Farbtemperatur oder ein Lieblingslicht – nein. Wenn, dann indirekt, aber es geht ja auch direkt, wie bei Michael Jackson. Licht ist ja auch als eine Wissenschaft, ein mathematischer und physikalischer Zusammenhang zu sehen. Es ist relativ komplex, wenn man es ernst nimmt. Das muss alles zusammenpassen. Wenn Kostüm und Make-up nicht gut aussehen, dann kann ich das auch nicht gut ausleuchten. Deswegen ist das ja so ein cooler Job, weil eine Symbiose stattfindet. Man muss immer Respekt haben vor dem anderen. Das ist mir mit Dante Spinotti passiert, möchte man fast nicht glauben: im Olympiaschwimmbad haben wir eine Werbung für Barilla gemacht, bei der wir viele Umbauten hatten und chronologisch gedreht haben. Er stand da und hat zu mir gesagt: „Das ist das erste Mal in meinem Leben, und ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“

Das zuzugeben ist doch super!
Genau! Das sind halt die alten Kerle, die das schon 100.000 Mal gemacht haben, und der sagt so einen Satz, zu einem Deppen, den er im Leben noch nie gesehen hat, verstehst du? Sensationell. Das ist doch der Punkt. Dann sag halt du mal was, oder was fällt dir denn dazu ein? Man zieht am selben Stiefel, und vielleicht hat dann der, der dir gegenüber steht, die Idee. Das nimmt ihm ja nichts weg von seinem Ruhm. Es gibt oft das Missverständnis, dass Leute nicht offen genug sind oder sich nicht trauen zu fragen. Mein Prinzip ist: Man hört nie auf zu lernen, sonst ist man nämlich tot. Du kannst ja nie genug hören und sehen und machen. Das hört ja nie auf. Das ist das A und O, und da schließe ich mich zu 100 Prozent ein: Wenn man aufhört zu lernen, dann hat man verloren. [9344]

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