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Wir stellen die Preisträger des 30. Deutschen Kamerapreises vor (7)

Horizonte öffnen

Unsere Serie mit den Preisträgerinnen und Preisträgern des 30. Deutschen Kamerapreises geht weiter mit Janine Dauterich. Sie wurde für den besten Schnitt bei einer Dokumentation ausgezeichnet.

Janine Dauterich wurde 1978 in Hessen geboren und schloss 2010 ihr Studium der Montage an der heutigen Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ab. Seitdem arbeitet sie international im Bereich Spiel-, Dokumentar-, Musik-, Tanz- und Kunstfilm. Für „The War on My Phone“ (2018), die Fortsetzung des mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilms „#MyEscape“ (2016), wurde Janine Dauterich beim Deutschen Kamerapreis 2019 in der Kategorie Schnitt Dokumentarfilm nominiert.

Ich habe mich ja richtig gefreut, als ich auf deinem Arbeitsfoto gesehen habe, dass es noch jemanden auf der Welt gibt, der seinen Schnitt mit Post-It-Zetteln organisiert.
Post-Its, Karteikarten, bunte Notizzettel, ich habe hier eine ganze Sammlung. Je nach Film bekommt jeder Protagonist oder jedes Thema eine eigene Farbe, die ich dann auch im Avid übernehme. Das gibt gerade am Anfang einer Arbeit einen guten Überblick über das Material und später im Avid über Längen und Dramaturgie.

Was hat es für dich bedeutet, den Deutschen Kamerapreis für den besten Schnitt einer Dokumentation zu bekommen?
Das war erst mal eine große Überraschung. Ich hatte „Beethovens Neunte: Symphonie für die Welt“ nicht selbst angemeldet, das hatte die Produktionsfirma in Absprache mit der Deutschen Welle gemacht. Ich habe mich sehr über den Preis gefreut, besonders, weil die Arbeit an dokumentarischen Filmen fürs TV nicht allzu viel Anerkennung bekommt. Dabei gibt es sehr viele interessierte Zuschauer, nur die Sendetermine im Fernsehen sind fast immer spät abends oder nachts.

Der Schnitt des Films hat fast ein halbes Jahr gedauert. Wie hat im Lauf dieser Zeit die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christian Berger ausgesehen?
Ich arbeite öfter an langen Projekten. Vor Beethoven habe ich mit Unterbrechungen anderthalb Jahre an einem Dokumentarfilm gesessen. Sich längere Zeit so intensiv mit einem Thema zu beschäftigen, ist immer spannend. Die Zusammenarbeit mit Christian ist sehr entspannt und produktiv. Wir haben schon sechs Projekte zusammen gemacht, kennen unsere Arbeitsweise gut und er lässt mir viel Spielraum. Er hat da ein großes Vertrauen.

Es gab ja offenbar mehrere Terabyte an Material. Wie habt ihr diese Menge bewältigt?
Wie heutzutage oft üblich, war es wirklich viel, in acht Ländern gedreht mit teilweise drei Kameras, dazu noch Archivmaterial. Christian bereitet sich sehr gut vor, sieht sich das gesamte Material an, macht sich Notizen, geht die Interviewtranskriptionen durch und erstellt einen groben Ablaufplan, wie der Film funktionieren könnte. Dann sichten wir gemeinsam, bei Beethoven waren das ungefähr acht Tage. Wir scrollen durch die Drehtage, sortieren eine Auswahl nach Themen in Sammelsequenzen. Ich hätte bei einem TV-Projekt nicht die Zeit, ganz von Anfang an das komplette Material zu sichten.

„Beethovens Neunte: Symphonie für die Welt“

Also verlässt du dich auf die Vorauswahl des Regisseurs?
Mit Christian gehe ich diese Vorauswahl erst mal durch, als Vorschlag von ihm. Das gibt uns einen guten Überblick. Danach lässt er mich alleine, wenn es darum geht, die Szenen zu schneiden. Dabei gehe ich natürlich noch einmal ins Material und schaue, ob es da vielleicht noch etwas anderes gibt. Die Herangehensweise an Material kann aber von Regie zu Regie unterschiedlich sein.

In deinem Dankesvideo bei der Online-Verleihung erwähnst du „lange Stände und keine Effekte“ als Stilmittel beim Schnitt zu diesem Projekt und dass du hier deinen Schnittdozenten gefolgt wärest. Wie hat dich das Studium beeinflusst?
Lang stehende Bilder sind eher ein persönlicher Geschmack, nur schneiden um des Schneidens Willen ist nicht so mein Ding. Dass nicht immer alles glatt geschnitten sein muss, habe ich unter anderem von Babelsberg mitgenommen. Das Studium der Montage ist dort ist sehr offen. Es geht um Montagetheorie, das Diskutieren über Filme, aber auch darum, den Horizont zu erweitern, also Filme anzusehen, die man nicht oft im Fernsehen oder im großen Kino sieht. Experimentalfilme sind ein Steckenpferd von Gerhard Schumm. Was findet man gut, was nicht, mit welchen Methoden spielen diese Filme und was lösen sie aus? Darüber nachzudenken öffnete einen Horizont und das ist das, was ich von Gerhard Schumm, Gisela Schulz und vielen anderen Dozentinnen mitgenommen habe.

Die Jury hat in ihrer Begründung erwähnt, du hättest Beethovens kommende Taubheit „tonlich erfahrbar“ gemacht. Was hat es damit auf sich?
Eine der sieben Geschichten im Film begleitet Paul Whittaker, einen gehörlosen Musiker aus England, der zusammen mit einem Orchester weltweit Musikworkshops für gehörbehinderte Kinder anbietet, im Film war das in Barcelona. Die Kinder bekommen erklärt, wie Instrumente Klang erzeugen und dürfen selbst spielen. Dabei spüren sie die Vibrationen und dass ein Cello sich anders anfühlt als eine Violine. Man kann sich das schwer vorstellen. Diese Geschichte hätte ich gern länger im Film gehabt, weil sie sehr emotional ist und etwas, womit ich vorher keine Berührungspunkte hatte.

Wir haben dann überlegt, wie wir das Erlebnis der Kinder gut vermitteln können. Einige haben Implantate oder können tiefe Töne noch wahrnehmen, wir wollten also den Ton nicht einfach abdrehen. An der ersten Barcelona-Szene im Film habe ich verschiedene Möglichkeiten ausprobiert. Sie fängt jetzt mit normalem Ton an, der aber immer leiser wird bis nur noch die Geräusche der Instrumente dumpf hörbar sind. Bei Kinofilmen kann man auch mutiger sein, bei einer TV-Produktion will man Zuschauer aber nicht verschrecken. Keiner soll denken, es wäre ein technischer Fehler. In späteren Szenen mit Paul und den gehörbehinderten Kindern haben wir zusammen mit Cornelius Rapp, unserem Mischmeister, eine gute Mischung zwischen dumpfen Instrumentenklängen und dem Original-Ton gefunden. [14206]

 

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