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Max-Ophüls-Preise verliehen

Frischer Wind in Saarbrücken

Impressionen der Eröffnung des 38. Filmfestival Max Ophüls Preis. Foto: Oliver Dietze / MOP (Bild: Oliver Dietze)

Nach einem Jahr der Unwägbarkeiten präsentierte sich der Max Ophüls Preis in 2017 mit neuer Leitung und ein paar Veränderungen. Aber was ist mit den Filmen? Gelang es der neuen Chefin Svenja Böttger die schöne Melange aus Wildheit, visueller Kraft und neuen Ideen beizubehalten, die das Festival ausmacht? Filmemacherin Anne Chlosta sagt es uns.

In Saarbrücken haben die Menschen noch Zeit für ein Schwätzchen und ein gutes Gläschen. Daran ändert auch die Festivalwoche nichts. Inmitten von jungen Filmschaffenden, die vor Aufregung förmlich vibrieren, bleiben die Saarbrücker bemerkenswert ruhig und gelassen. Ganz im Gegensatz zu mir. Gerade erst angekommen, und schon erfasst mich die vertraute Mischung aus Vorfreude und der Angst etwas zu verpassen. Ich hole mir meine Akkreditierung und stürze mich in das ungezwungene und abwechslungsreiche Treiben, für das dieses Festival berühmt ist. Zum Glück. Denn gerade für junge Filmemacher, zu denen ich selbst ja auch zähle, gibt es nichts Besseres, um Berührungsängste abzubauen und erste Schritte in die Filmwelt außerhalb der Filmhochschulen zu wagen. Und dann ist gibt es da ja auch noch dieses wohlwollende und filmbegeisterte Saarbrücker Publikum, das sich oft die ganze Woche frei nimmt, um so viele Filme wie möglich zu schauen. Genau das habe auch ich vor.

Ungleiche Helden

(Bild: Arbel GmbH)

Los geht es mit dem mittellangen Film „La femme et le TGV“. Verspielt und charmant erzählt der Schweizer Regisseur Timo von Gunten darin die (wahre) Geschichte vom Briefwechsel zwischen einer älteren Dame und einem TGV Lokführer. Die unverwechselbare, nach wie vor wunderbare Jane Birkin spielt die Hauptrolle in diesem mit einem unglaublichen Auge fürs Detail gemachten Film. Nach der Vorführung teilt der Regisseur einem begeisterten Publikum mit, dass sein Kleinod für einen Student Academy Award nominiert sei. Es wundert also nicht, dass „La femme et le TGV“ in der Kategorie Mittellanger Film mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.

In derselben Kategorie erlaubt Albert Meisls „Der Sieg der Barmherzigkeit“ ein Wiedersehen mit alten Bekannten: Dem Musikwissenschaftler Szabo und seinem jungen Kollegen Fitzthum, die sich gemeinsam auf die Suche nach Szabos Schalkragensakko machen. Die ungleichen Helden sind mir vom Max Ophüls 2016 in guter Erinnerung. Dort fielen sie in Meisls „Die Last der Erinnerung“ durch unverkrampfte Dialoge und immer absurdere Situationen auf.

Auch diesmal ist die Moderatorin begeistert. Das Lachen des Publikums fällt verhaltener aus. Das mag daran liegen, dass der Grundkonflikt zwischen den Herren beim Nachfolger etwas weniger dringlich ist. Dennoch fühle ich mich gut unterhalten. Es ist bemerkenswert, wie Meisl und sein Team es schaffen, mit derart beschränkten Mitteln (der Film entstand im Rahmen der „Sommer-Uni“ mit einem Budget von 1.500 Euro an nur zwei Drehtagen) eine so eigene humoristische Welt zu schaffen.

Mit „Bier und Calippo“ von Paul Ploberger folgt ein weiterer österreichischer Film, dessen Bilder nur so vor Sommer leuchten. Bemerkenswert unaufgeregt wartet das Werk unter anderem mit einer sehr gelungenen Zeitlupenszene über Bier und Calippo (sic!) auf, welche die Schnittstelle zwischen kindlicher Coolness und den ersten Schritten ins Erwachsenenleben aufzeigt, von der der ganze Film handelt. Aufwändig vor green und blue screen gedreht, ist der Film ein sommerliches Schmankerl, das sich für mich dann aber doch etwas zu lang hinzieht und die Frage aufkommen lässt: Bin ich zu alt für diesen Film?

Diese Frage will mein erster Langspielfilm des Festivals entschieden mit Nein beantworten. Joya Thomes „Königin von Niendorf“ ist ein Kinderfilm für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, der uns ins ländliche Brandenburg und in die Welt der zehnjährigen Lea entführt. Eine beachtliche Leistung von Jungdarstellerin Lisa Moell, die das Publikum bezaubert. Mich allerdings weniger. Der Film hat einen großartigen Soundtrack, aber zu wenig Handlung. Immer wieder gibt es Ansätze von Konflikten, aber sie werden nicht auserzählt. Nichts scheint wirklich auf dem Spiel zu stehen. Diesem Film, der von einem Team mit sehr viel Herzblut gemacht wurde, hätte ich ein stärkeres Drehbuch und mehr Fokus gewünscht.

Dagegen passt das sonst ja eher selten verwendete 4:3 Format, für das Regisseurin Thome und Kamerafrau Lydia Richter sich spontan entschieden haben, wunderbar zum Erleben der Kinder. Das Format hat Aussagekraft. Es fängt Kindheit ein und katapultiert mich zurück in mein eigenes Kind-Sein, als das Leben sich vor allem draußen abspielte und alles aufregendes Abenteuer war.

Stille aushalten

(Bild: Kineo Filmproduktion)

Um Abenteuer der ganz anderen Art geht es in Nora Fingscheidts Dokumentarfilm „Ohne diese Welt“. Für mich ist der Film ein Höhepunkt des Festivals. Die Geschichte einer 700-köpfigen Gemeinschaft von deutschstämmigen Mennoniten, die im heißen Norden Argentiniens ein Leben wie im 18. Jahrhundert führen, zwingt mich dazu, Stille auszuhalten. In sehr eindrucksvollen Naturaufnahmen, dynamischen Steadicam Bildern sowie in sehr verletzlichen Porträtaufnahmen einzelner Mitglieder der Gemeinschaft bringt Fingscheidt uns dieses so andere Leben nah.

Unvergessen die Abschiedsszene in der Dämmerung, bei der die Regisseurin zwei junge Männer fragt, was die Anwesenheit des Teams ihnen gebracht habe. Man kann die Gesichter der Jugendlichen nur erahnen, und vielleicht ist das, was sie ganz offen sagen lässt: „Wir werden immer hoffen, dass ihr wiederkommt.“ Ein Gänsehautmoment, und eine große Leistung dieses Films, der mich wahrhaftig in eine fremde Welt eintauchen lässt. Eine Horizont-Erweiterung, die vollkommen verdient mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.

Auch „Jetzt.Nicht.“ von Julia Keller, mit einem herausragenden Godehard Giese in der Hauptrolle eines Mannes, dem durch seine Kündigung vollkommen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, ist ein stilsicherer und konsequent erzählter Film. Keller und ihr langjähriger Kameramann Janis Mazuch finden eine gekonnt durchkomponierte Bildsprache, um uns in die Welt der gehobenen Mittelschicht und damit in die Lebensrealität des Protagonisten einzuführen. Brüche gibt es auch. Beispielsweise eine Szene während des Kölner Karnevals, bei der sich Giese im Kostüm eines Muskelmannes mit einem Saufkumpan in einen Bärenkampf stürzt. Hier ist die Kamera dynamisch, verspielt, wir sind nah am Geschehen und kämpfen quasi mit. Auch die erzählerisch sehr gekonnt eingesetzte Zeitlupe passt zur Künstlichkeit, die der Film ausstrahlt. Sie unterstreicht den Eindruck, dass wir es mit einer Filmemacherin zu tun haben, die weiß, wie sie erzählen will.

Was sie erzählen will, erschließt sich mir allerdings viel weniger klar und konsequent. Ich komme nicht an den Protagonisten heran, die Geschichte zieht sich gefühlt sehr lange hin bis sie endlich richtig losgeht und erst am Ende in der allerletzten Einstellung, in der der Protagonist uns den Rücken zukehrt, bekomme ich eine Ahnung davon, was hier verhandelt wird.

Bitte mehr davon

Das geht mir bei Alisa Bergers „Die Körper der Astronauten“ ähnlich. Berger zeigt die Lebensphasen dreier Menschen (Vater, Tochter, Sohn) anhand ihrer Körper auf. So ist der Vater als Alkoholiker den Impulsen seines Körpers hörig, fängt die Tochter an, ihren immer weiblicher werdenden Körper als Kostbarkeit zu begreifen und entzieht sich der Sohn in einem wochenlangen Experiment, bei dem er nur liegen darf, dem Körperlichen völlig.

Der Ausgangspunkt des Films ist originell, und das spiegelt sich auch in der Bildgestaltung mit ihren überraschenden Blickwinkeln wieder. Es ist einer der wenigen Filme des Festivals, der elliptisch erzählt. Vieles erschließt sich erst nach und nach, und erfordert somit von mir eine Denkleistung, die ich als Zuschauer schätze und brauche. Dennoch fehlt mir auch hier eine gewisse Notwendigkeit. Am Ende hat sich bei allen Figuren zu wenig verändert als dass ich eine Entwicklung hätte mitverfolgen können, die mich emotional abholt.

(Bild: Orbrock Filmproduktion GmbH)

Intensive Gefühle spielen die Hauptrolle in „Siebzehn“, einem Film der österreichischen Regisseurin Monja Art. Dort durchlebt die von Elisabeth Wabitsch verkörperte Paula alle Höhen und Tiefen einer intensiven Liebe. Der Zuschauer ist immer auf Augenhöhe mit dabei, wenn Paula Charlotte, dem Objekt ihrer Sehnsüchte, näher zu kommen scheint und dann doch wieder an deren Ängsten scheitert. Unter anderem über gut dosiert eingesetzte Zeitlupenmomente, die erfrischend unrealistisch sind, bekommen wir einen Einblick ins Seelenleben der Figuren. Das kommt an, das geht locker-lustig rein und ist dabei immer auch bitterernst.

Mich hat dieser Film begeistert. Durch seine zielsichere Umsetzung was Buch sowie Bilder angeht und allem voran durch sein mitreißendes Ensemble, das immer den richtigen Ton trifft. Und, was mich noch am meisten freut, durch seinen herrlich unverkrampften Umgang mit dem Thema gleichgeschlechtliche Liebe. Dass Paula auf Charlotte steht, ist nicht das Problem. Sondern es ist eben einfach so.

Monja Art gewann mit „Siebzehn“ den Max Ophüls Preis 2017. Hauptdarstellerin Elisabeth Wabitsch wurde mit dem Preis für beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. Unheimlich zurecht, wunderbar und bitte mehr davon!

Erwähnenswert auch noch „Wann endlich küsst du mich“ von Julia Ziesche. Die knallbunt überhöht erzählte Familiengeschichte, die von vier Frauen unterschiedlicher Generationen handelt (Großmutter, Mutter, zwei Töchter) ist nicht realistisch und will es auch gar nicht sein. Der Film hat einige der besten Bildreime und visuellen Übergänge, die ich auf dem Festival gesehen habe. Leider bleibt für mich jedoch auch hier beim Zuschauen das Emotionale auf der Strecke. Es ist ein verdammt schmaler Grat zwischen Überhöhung und Wahrhaftigkeit, und auch wenn ich manchmal mit den Problemen der Figuren mitgehen kann, verhindert der Stil mit seinen doch sehr künstlichen Dialogen, dass ich wirklich an ihre Gefühle andocken kann.

Im Gedächtnis geblieben ist mir die Szene, in der sich die Großmutter, wunderbar subtil verkörpert von Marlen Diekhoff, gemeinsam mit ihrem dementierenden Ehemann über ein Gedicht an die Anfänge ihrer Liebe erinnert. Da verlässt der Film sich auf das, was Darsteller über Blicke, Mimik und Gesten an Welten in den Raum stellen können, und berührt mich sehr.

Den vollständigen Artikel mit dem Fazit von Anne Chlosta über den diesjährigen Max-Ophüls-Preis lesen Sie in der kommenden Ausgabe 3/2017 vom Film & TV Kameramann. Die Vollständige Liste der Gewinnerfilme finden Sie schon jetzt hier auf der Homepage des Filmfestivals Max Ophüls Preis.

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