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Wer gut sitzt, schneidet besser

Ergonomie von Schnittplätzen

Viele kennen es. Nach Stunden am  Schnittplatz kommt der Schmerz im Rücken. Das ist keine Seltenheit, wenn man seine Umgebung nicht aufs Editing ausgelegt hat. Wie kann man nun also vorgehen, um dem Schmerz vorzubeugen?

Kameraleute haben es gut. Sie sind viel an der frischen Luft, was ihnen die gesunde Gesichtsfarbe von Wasserschutzpolizisten oder Schafhirten verleiht. Sie verreisen viel und sehen dabei die Stadt, den Erdkreis und manches Salzsäurewerk. Um lange und ermüdungsfrei von der Schulter drehen zu können, betreiben einige so eifrig Rückengymnastik und Kraftsport, dass ihre Erscheinung an einen austrainierten Mittelgewichtsboxer erinnert. Für diejenigen, bei denen hinsichtlich der Fitness Defizite auftreten, gibt es ausgeklügelte Apparate, die einem Kran gleich das Gewicht der Kamera auf die Hüften übertragen. Im schlimmsten Fall kann man sich immer noch auf einem Dolly über das Set schieben lassen. Eine künstlerische Begründung hierfür lässt sich ja sicher finden. In aller Kürze: Kameraleute sind Lichtgestalten.

Editoren hingegen leben auf der Dunklen Seite des Bewegtbildes. Sie hausen in der Finsternis der Schneideräume, und die Sonne kennen sie höchstens aus der Mittagspause. Von der Welt erfahren sie nur das, was die Kameraleute ihnen an Bildern und Geschichten von ihren Abenteuern mitbringen. Früher, als noch alles besser und aus Holz oder Zelluloid war, und Filme tatsächlich noch mit der Schere geschnitten wurden, hatten sie zumindest noch ein bisschen Auslauf. Sie konnten durch den Schnittraum wandern, das Drehmaterial verwalten und große Mengen an Filmstreifen von A nach B transportieren. Unter Umständen halfen sie nach der Schicht auch noch bei der Heuernte – aber solche Idyllen gehören leider der Vergangenheit an. Heute ist das Maximum an berufsbedingter Bewegung das Ein- und Ausstöpseln von externen Festplatten am USB-Anschluss. Umso wichtiger müsste es den Editoren sein, ihren Schnittplatz so zu gestalten oder gestalten zu lassen, dass sie daran ohne übermäßige Ermüdung oder gar Schaden an ihrer Gesundheit arbeiten können.

Motivsuche

Mit der Ergonomie ihres Arbeitsplatzes beschäftigen sich viele allerdings erst, wenn es anfängt wehzutun – und der Schnitt eines längeren Projekts in einer ungeeigneten Umgebung auf direktem Wege zum Physiotherapeuten führt. Manchmal stupst einen das Leben aber auch auf etwas sanftere Weise an, sich der Gestaltung seines Arbeitsumfelds zu widmen. Konkret wechselt der Vermieter des kleinen Raums, in dem das produktionseigene Schnittsystem steht. Statt einer befreundeten Filmproduktion ist plötzlich eine chinesische Im- und Exportfirma der Bürogenosse.

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Marko Gutsche am selbst gebauten Arbeitsplatz.(Bild: Uwe Agnes) (Bild: Uwe Agnes)

Abgesehen davon, dass im Laufe der Zeit zunehmend fragwürdiger Dekor in den Räumen Einzug hält, ist die eigentlich gewünschte Anbindung an ein von Medienberufen geprägtes Umfeld nicht mehr gegeben. Nach den Maßstäben von Feng Shui ist der angemietete Raum sowieso ein Desaster. Da wäre es dumm, eine sich kurzfristig bietende Gelegenheit zum Umzug nicht zu ergreifen und bei dieser Gelegenheit den Schnittplatz neu zu planen.

Do It Yourself

Wenn man hierbei gewisse Vorgaben und Richtlinien beachtet, ist das zunächst einmal gar nicht kompliziert. Marko Gutschke, seit zehn Jahren freier Editor in Köln, hat sich im Lauf seiner Karriere schon drei Schnittplätze selbst eingerichtet – mit einfachen und preiswerten Mitteln. Er achtet besonders auf eine ausreichende Tiefe seiner Arbeitsplatte, um den nötigen Betrachtungsabstand zum Kontrollmonitor sicherzustellen. „Meine Arbeitsplätze kommen hauptsächlich aus dem Baumarkt“, sagt Marko Gutschke. „Ich montiere zwei Küchenarbeitsplatten übereinander, damit ich die nötige Arbeitstiefe bekomme. Dann schraube ich ein paar Beine darunter, und der Tisch ist fertig.“ Auch die Beleuchtung kommt von der Stange: „Ich mag indirekte Beleuchtung, und nehme dafür die preiswertesten Lampen aus dem schwedischen Möbelhaus.“

Es ist also tatsächlich relativ einfach, einen Platz einzurichten, an dem nur ein Editor mit – innerhalb gewisser Schwankungen – definierten Körpermaßen tätig ist. „Kompliziert wird es dann, wenn mehrere Cutter an einem Platz arbeiten sollen“, sagt Ulrich Mau, Geschäftsführer beim Systemhaus Mediatec. „Wenn ich zum Beispiel eine große Produktionsfirma hier in Köln sehe – die haben seinerzeit 30 oder 40 Schnittplätze angekauft. Der freie Mitarbeiter hat sich dann eben da hinzusetzen und zu schneiden, ob der Platz nun für ihn richtig ist oder nicht. Und wenn er mit dem Schnittplatz nicht zurecht kommt, sucht man sich eben einen neuen Cutter. Das ist eigentlich der Klassiker.“

High End

Sobald ein Unternehmen aber eine Größe erreicht, bei dem es einen Betriebsrat und einen Sicherheitsingenieur geben muss, wie etwa beim Westdeutschen Rundfunk, stellt sich die Lage wiederum anders dar. „Da sind Schnittplätze im Betrieb, wo der Tisch allein 5.000 Euro kostet, und die Aufhängung für den Monitor ist teurer als der Monitor selbst“, sagt Ulrich Mau. Die Technik zur Anpassung an unterschiedliche Nutzer bei den Schneidetischen ist tatsächlich bemerkenswert, wenngleich das Dekor ein wenig altbacken wirkt. Arbeitsplatte und Monitor-Brücke lassen sich unabhängig voneinander elektrisch in der Höhe verstellen. Die drei Strahler zur Beleuchtung der Arbeitsfläche lassen sich verschieben und unabhängig voneinander dimmen, genauso wie das indirekte Raumlicht – fast schon zu viele Parameter, um sich den Arbeitsplatz für seine Körpergröße und Vorlieben anzupassen.

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Klare Vorgaben gibt es beim Westdeutschen Rundfunk zu beachten. (Bild: Uwe Agnes)

Fazit

„Mich hat noch niemand in einer Schulung nach Ergonomie gefragt“, sagt Andrea Käsch, Editorin und freie Instruktorin für nichtlineare Schnittsoftware. „Das ist nie ein Thema gewesen. Ich denke, viele machen das intuitiv, und sowieso richten sich die wenigsten ihren Schnittplatz selber ein.“ Das ist eine Erfahrung, die Ulrich Mau in seinem Umfeld in ähnlicher Form gemacht hat. „Die meisten wollen einfach ein System kaufen. Dann haben sie irgendwo einen Raum, darin steht ein Tisch, der mit etwas Glück auch nicht wackelt, und darauf kommt das Schnittsystem, fertig.“

Wenn aber man zu denen gehört, die in der glücklichen Lage sind, auf die Gestaltung ihres Schnittplatzes Einfluss nehmen und ihn optimieren zu können, sind die Zeit und Mühe, die es hierfür braucht, sicher gut investiert. Wer gut sitzt, schafft bessere Werke – und für sich persönlich mehr Lebensqualität.

 

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