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Viel Überraschendes in Bydgoszcz (2)

Das war das Camerimage 2018: Immer wieder Netflix

Im zweiten Teil von Jens Prausnitz’ Bericht aus Bydoszcz geht es um Musikvideos, den Publikumspreis und den höchst präsenten Streamingdienst der Stunde, Netflix.

(Bild: Childisch Gambino/Youtube.com)Nach all den Jahren ist es immer noch verblüffend, wie einfallsreich sich das Publikum des Marathons aus Sponsorentrailern annimmt, und ihn zu einem Mitmacherlebnis werden lässt. Dieses Jahr war es der Spot von SundanceTV, in dem der O-Ton von Robert Redford so leise gemischt war, dass die Musik mit ihrem geklatschten Takt so sehr im Vordergrund stand, dass das Publikum begann ihn kurzerhand noch lauter zu machen, indem sie ihn mitklatschten. Zwar leicht abgewandelt, doch dafür sehr engagiert. Weniger, aber mehr. Spätestens beim anschwellenden Jubel über den Festivaltrailer stellt sich dann wieder Gänsehaut ein – alle Jahre wieder.

Bei den Musikvideos gewann das furiose „This is America“ von Childish Gambino (DoP: Larkin Seiple, Regie: Hiro Murai) für Kamera, sowie Novo Amor’s „Birthplace“ (DoP: Nihal Friedel, Regie: Jorik Dozy, Sil Van Der Woerd) für die Regie. Beide Clips zeichnen sich durch ihre politischen Aussagen aus, ersteres allerdings weit weniger offensichtlich, als der den Protagonist verschluckende Plastikwal in Letzterem.

Julien Temple, Preisträger für „Outstanding Achievements in the Field of Music Videos”, präsentierte einige davon, während er entspannt mit einem Glas Rotwein daneben saß und sich feiern lies. Zu Recht, denn wer Kenny Rogers ein Video für „Planet Texas“ andrehen konnte, das wie ein LSD-Trip aussieht, erweitert nüchtern betrachtet mehr Horizonte, als jemals mit Clips für die Sex Pistols oder Neil Young, die nur bereits offene Türen einrennen. Jedoch war Temple einer jener, die selbst diese Tür überhaupt erst einmal geöffnet haben, und das nicht mit der Klinke.

Einsichten

Der Publikumspreis ging dem Titel entsprechend an „The Favourite” (2018, DoP: Robbie Ryan, Regie: Yorgos Lanthimos), über den wir im kommenden Heft ausführlich zu sprechen kommen werden. Die spannendste Publikumseinbindung dieses Jahr war jedoch das von Oliver Stapleton geleitete Panel „Any Questions“, für das man vorab Fragen einreichen konnte, die dann von Philippe Rousselot, Ed Lachman, David Gropman, Seamus McGarvey, Dick Pope, Amy Vincent und von Stapleton selbst beantwortet wurden. Eine derart hochklassige Q&A Session habe ich noch nie erlebt, und sollte deshalb auf jedem Festival zur Pflichtveranstaltung werden. So wurde etwa betont, wie unverzichtbar erfahrene Gaffer und Production Designer für Kameraleute sind, und dass es eine gute Strategie sei, sich mit Kollegen zu umgeben, die auf ihrem Gebiet besser sind, als man selbst. Umgekehrt plädierte Amy Vincent für eine „Youth infusion“, indem man auch jungen Talenten eine Chance gibt, und über sie zum Beispiel an Technologien herangeführt wird, von denen man selbst nichts, oder nur wenig gehört hat. So arbeitet sie etwa mit einigen Talenten zusammen, die ihr Matthew Libatique empfohlen hat.

Beim Q&A zum Horror-Überraschungserfolg des diesjährigen Sundance-Festivals „Hereditary“ (2018, DoP: Pawel Pogorzelski, Regie: Ari Aster), kam dann wie gewohnt die erste ausufernde Frage von jemandem, den der Film angeblich sprachlos zurück gelassen habe. Als Einfluss führte Pogorzelski „Rosemary’s Baby“ (1968) und „Drei Farben: Rot“ (1994) an, wobei er leider nie an die Klasse des Polanski-Klassikers heranreicht. Vielleicht liegt es an den Kürzungen, und wenn dieses Jahr eins gezeigt hat, dann das Horror vielleicht das Genre ist, das von serieller Erzählweise am meisten profitieren könnte. Bestes Beispiel dafür ist wohl „The Haunting of Hill House“ (2018) von Mike Flanagan, das vor allem von seinem psychologischen Tiefgang lebt. Erfrischend an „Hereditary“ war jedoch, dass er nahezu gänzlich ohne Jump Scares auskam, sondern ebenso wirksame, andere visuelle Lösungen fand.

Netflix

Während des Festivals konnte man gelegentlich Stimmen hören, die munkelten, die Preisverleihung sei manipuliert, es würde wie schon in Venedig die Netflix-Produktion „Roma“ (2018, Regie und Kamera: Alfonso Cuarón) gewinnen, ganz gleich was die Jury befinde, die Entscheidungen seien politisch. Damit tut man nicht nur allen Beteiligten Unrecht, denn von den Film schwärmten zu Recht alle, die ihn gesehen haben, bekommen hat er jedoch den bronzenen Frosch, so leidenschaftlich sich Cuarón auch in die Diskussion mit Studenten und Kollegen stürzte. „Dark“ (2017, DoP: Nikolaus Summerer, Regie: Baran Bo Odar) ging ebenso leer aus wie „The Ballad of Buster Scruggs“ (2018, DoP: Bruno Delbonnel, Regie: Ethan und Joel Coen).

Zugegeben, der Streaminganbieter war sehr präsent, hatte gar ein eigenes Panel, zu dem ASC und IMAGO geladen waren, auf dem ein Netflix-Verantwortlicher einen langen Eröffnungsmonolog hielt, in dem dieser einen Lobgesang auf das Medium Film anstimmte. Schön und gut, noch überzeugender wäre allerdings die Erweiterung der digitalen Aufnahmeformate um eine schlichte Zeile, nämlich Film; so könnte man sich einige Diskussionen sparen. Aber das war vielleicht nur der Nervosität geschuldet, und wo Netflix ist, dürfte Amazon höchstens ein Jahr mit ihrem ersten „Sponsored by“-Event entfernt sein. Darin unterscheiden sich die beiden Unternehmen kein bisschen von ARRI und Panavision, die in der Lobby auch dieses Jahr ihr „Wer hat den größten Stand?“-Konflikt austrugen, damit aber auch sowohl die dort bislang verortete Theke, sowie ohnehin knappen Sitzgelegenheiten vertrieben. Anstatt sich in Sandkastenkonflikten zu verlieren, sollte man gemeinsame Interessen im Auge behalten, wie etwa den Erhalt dieses Festivals, bei dem eben nicht Konkurrenz und Wettbewerb bestimmend sind, sondern das handwerklich-künstlerische Ergebnis, Zusammenarbeit und Wissensaustausch.

Morgen geht’s weiter!

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