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DoP Michael Hammon über seine Arbeit an „Zwingli“

Die Farben des Mittelalters

DoP Michael Hammon hat mit dem Schweizer Regisseur Stefan Haupt in einer der bisher teuersten Schweizer Kinoproduktionen das Leben des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli verfilmt. Gunter Becker sprach mit dem Kameramann für unser Heft 1-2.2020.

Welches Konzept hattest du für Kamera und Licht angesichts der Herausforderung, dass die Geschichte im 16. Jahrhundert in einer spätmittelalterlichen Stadt spielt?
Ich wollte ursprünglich jeden größeren Aufwand, Kamerakräne, aufwändige Kamerafahrten und große Kameratechnik vermeiden. Ich wollte aber auch cineastische Bilder, die nicht nur ästhetisch überzeugen, sondern auch den Dreck und die Rauheit der damaligen Gesellschaft spiegeln. Zudem entschied ich mich schon ganz früh für das Cinemascope Format. So musste ich weniger auf die Höhen achten – weder im Hinblick auf CGI noch bei den Sets. Allerdings brauchte es etwas Mühe, um Stefan von den V-lite-Anamorphoten von Hawk zu überzeugen. Doch die ersten Tests haben ihn dann umgestimmt. Die machen nämlich etwas Wunderbares mit den Hauttönen der Protagonisten, machen sie weich und samtig. Herrlich! Zudem verleiht die geringere Schärfentiefe den Bildern eine gewisse Plastizität und Tiefe. Und ich wollte eine einfache Handkamera, nah dran, auf Augenhöhe, immer in Bewegung.

Ähnlich wie deine Kamera bei den Filmen „Halbe Treppe“, „Willenbrock“ oder „Wolke 9“ von Regisseur Andreas Dresen?
Exakt. Regisseur Stefan Haupt hatte meine Filme mit Dresen gesehen. Genau wegen dieser Arbeitsweise hatte er mich haben wollen: Um eine authentische, unruhige, dreckige Kamera zu bekommen, die nah dran ist an den Personen und am Geschehen. Dann allerdings traf ich kurz vor Drehbeginn zum ersten Mal den Zwingli-Darsteller Max Simonischek und ich dachte: „Verdammt!“ Max ist mit etwa 1,96 viel größer als ich. Wie sollte das also gehen – auf Augenhöhe? Ich hätte ihm in die Nasenlöcher filmen können!

Wie hast du das gelöst?
Ich habe etwas gegrübelt und mich dann für den Einsatz eines Armorman von Tilta mit einem Gimbal entschieden. Damit arbeitet es sich allerdings ganz anders als mit einer herkömmlichen Handkamera. Nicht so ruppig und intuitiv. Man muss sich erst daran gewöhnen. Manchmal filmte ich auch vom Dolly aus der Hand. So sieht der Film nach meinem Geschmack jetzt vielleicht etwas konservativ aus. Es entsprach nicht meiner gewöhnlichen Arbeitsweise. Hinzu kommt, dass Stefan sich wahnsinnig auf einen Dreh vorbereitet. Wir hatten im Vorfeld jede einzelne Szene sorgfältig mit Doubles nachgestellt und fotografiert. Ein Vorteil dieser extremen Vorbereitung war, dass wir, glaube ich, an keinem einzigen Tag Überstunden gemacht haben.

Trotzdem ist vieles in Schnitt und Gegenschnitt aufgelöst. Ich wollte ja ursprünglich die Handlung über die Bewegung verbinden. Aber Stefan war dagegen, wollte den Rhythmus eher über den Schnitt bauen. Deshalb sollte die Kamera letzten Endes eher unsichtbar sein. Eine Handkamera zieht natürlich immer viel Aufmerksamkeit auf sich selbst.

DoP Michael Hammon bei der Premiere von „Zwingli“. Daneben Hauptdarsteller Max Simonischek und Regisseur Stefan Haupt (von links)

Welches Lichtkonzept hattest du fürs Mittelalter?
Das war recht klar. Es gab ja damals nur Kerzen, Fackeln oder natürliches Licht. Deshalb galt es vor allem, den Ein-druck von künstlichen Lichtquellen und elektrischem Licht soweit wie möglich zu vermeiden und speziell bei Nachtaufnahmen möglichst den Eindruck zu erwecken, dass nur available light als Lichtquelle diente. Mit available light, etwa mit Sonnenlicht, kannst du natürlich bei aufwändigen Szenen nicht gut planen. Du arbeitest ja auf Zeit und kannst keine Rücksicht auf den jeweiligen Sonnenstand nehmen. Deshalb hatten wir bei den Innenaufnahmen vor den Fenstern außen Steiger mit Licht, die nach den Erfor- dernissen der Handlung Sonnenstände simulierten. Ich wollte stets ein natürliches weiches Licht. Es sollte nie artifiziell aussehen. Es sollte immer der Logik der Lichtquellen im Bild entsprechen.

Ihr habt in historischen Baudenkmäler gedreht, dem Grossmünster in Zürich und das St. Georgen-Kloster in Stein am Rhein. Welche Herausforderungen bergen solche musealen Sets für die Kamera? Wie und wo schränken sie ein?
Das Grossmünster stellte sich wirklich als Herausforderung heraus. Ausgangspunkt der Handlung ist ja eigentlich eine katholische Kirche im Mittelalter, eine prunkvolle, schmuckvolle Kirche. Das Zürcher Grossmünster dagegen ist eine sehr spartanische protestantische Kirche. Die Location Scouts waren deshalb bis nach Italien gefahren, auf der Suche nach Drehorten. Doch Stephan wollte im Grunde immer genau diese Kirche: Das Grossmünster. Ich habe großen Respekt, dass er das nach langen Verhandlungen durchgesetzt hat.

Wir haben das Grossmünster dann für vier Wochen – zwei Wochen Auf- und Abbau und zwei Wochen Drehzeit – bekommen. Da hinein passen, auf Bänken, etwa eintausend Menschen. Da unsere Geschichte aber im Mittelalter spielt und die Leute damals in der Kirche standen, mussten die Bänke raus. Weil in die Bänke Heizwasserleitungen eingelassen waren, die in den Boden führen, war schon allein der Ab- und Aufbau eine Herausforderung.

Wir hatten bei der Szene nur Etat für etwa 100 allerdings in sehr teure Kostüme gekleidete Statisten. 50 Männer auf der einen Seite, 50 Frauen auf der anderen Seite. Wir mussten also crowd replication einsetzen. Dafür brauchst du allerdings ein konstantes Licht. In dem riesigen Kirchengebäude, mit hohen Fenstern, gebaut auf der Ost- West-Achse, mit der wandernden Sonne draußen, war das die nächste Herausforderung. Wir haben uns dann ein riesiges Tuch nähen lassen und haben das Schiff des Münsters ab den Balkonen komplett abgehängt. Das wiederum schränkte die Kamera ein, verbot etwa Schwenks nach oben oder den Einsatz von weitwinkligen Linsen.

Um die Südseite wurden große Gerüste gebaut, von wo aus wir große HMIs – leider nur 9 kW – durch jedes Fenster nach innen richten konnten. Diese Gerüste standen, komplett mit Licht bestückt, etwa drei Wochen lang – und das mitten in der Züricher Innenstadt! Drinnen erleuchteten zwei 9 kW HMIs das Tuch, welches wir über das Schiff gespannt hatten, um eine Grundhelligkeit zu erzeugen.

Ein Armorman von Tilta mit Gimbal sorgte für Augenhöhe mit dem Zwingli-Darsteller Max Simonischek.

Wo habt ihr CGI eingesetzt?
Regisseur Stefan Haupt hatte unglaublich viel und auch gutes Bildmaterial zu der Zeit recherchiert. Besonders gefesselt haben mich einige historische Stadtpanoramen, die ein Schweizer Künstler für ein Architekturbüro im Computer nachgebaut hat. Sogar das komplette Grossmünster hatte er dafür gemappt. Alles – bis zu den Gebäudeoberflächen und der Kleidung der Bevölkerung – war grafisch unglaublich fein gearbeitet und ich dachte: „So müssen wir das auch haben.“

Und wir brauchten establishing shots, die nach Kino aussehen. Wir hatten zwar das Kloster und das Münster in vielen Nah- und Innenaufnahmen – das sah aber alles noch zu sehr nach Fernsehspiel aus. Nun gibt es im Drehbuch diese Szene, in der Zwingli, zum Glockengeläut, in die Stadt Zürich einzieht, über die Limmat-Brücke, hinüber zum Stadttor. Das haben wir dann als Schwenk, mit einigen Bauern, die zur Kirche gehen, gestartet und zur großen Stadtansicht hin geöffnet. So sollte es losgehen. Und dafür brauchten wir CGI. Alleine dieses Anfangsbild sollte aber 75.000 Euro kosten. Dabei betrug der komplette CGI-Etat insgesamt nur 200.000 Euro – und zu diesem Zeitpunkt lagen ja noch knapp 90 Minuten Handlung vor uns. Weil wir dann später aber einzelne Bestandteile dieser, komplett in 3D computergenerierten Zürich-Ansicht quasi wie aus einem Werkzeugkasten auch in anderen Szenen wieder einsetzen konnten, etwa bei der Hochzeitsszene, konnte diese aufwändige CGI-Arbeit dann schließlich doch realisiert werden.

Farben sind bei historischen Filmen ebenfalls immer ein eigenes Thema. Welches Konzept hattet ihr dafür?
Daran haben wir sehr intensiv mit dem Production Design und der Kostümbildnerin gearbeitet. Zwei Sachen waren mir wichtig: Ich wollte keinen dieser braunen Mittelalter-Filme haben. Das Klischee, dass damals alles grau, beige, schwarz und braun war, wollte ich hinterfragen. Deshalb hatten wir speziell noch einmal zum Thema Farben recherchiert und dabei auf historischen Gemälden auch gelbe, grüne und blaue Farbtöne gefunden. Wir haben uns dann gefragt: Waren diese Farben im Mittelalter christliche Metaphern? Unsere Kostümbildnerin Monika Schmid brachte uns dann zum Beispiel ein Taubenblau mit, das wir unbedingt im Film haben wollten. Genau dieses Taubenblau sollte Anna, Zwinglis Frau, in einer ganz bestimmten Szene tragen.

Das klingt, ähnlich wie bei Hitchcock, danach, als ob ihr Farben als Key Visuals in ganz bestimmten Szenen eingesetzt habt.
Absolut. Ein Beispiel ist das Zusammentreffen Zwinglis mit dem Bischof Faber, im Film eine zwielichtige Figur. Dort wollte ich ein ganz spezielles Rot haben. Generell sollten die roten Farben der Kirchenleute dramaturgische Funktionen übernehmen. Monika fand solche Stoffe teilweise in Spanien. Sie waren zwar superteuer, waren es uns aber wert. Die Kleidung der Kirchenleute bei der Pestprozession etwa kostete teilweise bis zu 2.000 Euro Tagesleihe. Als es dann einmal zu regnen begann, hat uns Monika wirklich gejagt! (lacht)

Welche Kameras hast du eingesetzt?
Ich hatte zwei ARRI ALEXA Mini und wir haben ganz einfach in ProRes 4444 gedreht. Nicht in RAW. Kein RAW, weil viel zu teuer. Dazu hatten wir wie bereits erwähnt von Hawk die anamorphen Vantage-Linsen eingesetzt. Das hat mich ganz besonders gefreut, dass wir uns die geleistet haben. Andreas Dresen mochte sie bei Timm Thaler nicht haben. Das fand ich damals schade. Weil Letterbox mehr Schärfentiefe bietet, man bei Anamorph aber mehr mit den Unschärfen spielen kann, fand ich das passender. [11430]

Mehr lesen? Das komplette Interview gibt es hier!

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