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Wir stellen die Preisträger des 32. Deutschen Kamerapreises vor (5)

Liebesbriefe aus dem Schnitt

Unsere Serie mit den Gewinnerinnen und Gewinnern des 32. Deutschen Kamerapreises geht weiter mit Joana Scrinzi, die den Preis für den besten Schnitt bei einem Spielfilm bekam.

Editorin Joana Scrinzi am Schnittplatz

Joana Scrinzi wurde 1981 in Salzburg geboren. Nach Abitur und einer Ballett- und Tanzausbildung studierte sie Multi Media Art. Von 2003 bis 2006 war sie als Schnittassistentin und freie Grafikerin tätig. Nach einem Jahr Auszeit für eine Weltreise lebt und arbeitet sie seit 2008 als freiberufliche Editorin in Wien, wo sie auch seit 2020 Vorstandsmitglied der Austrian Editors Association ist. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf fiktionale und nonfiktionale Kinofilme.

Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis in der Kategorie Schnitt Spielfilm! Kannst du dich daran erinnern, wie du die Nachricht darüber bekommen hast?
Ja, ich war da gerade mit meiner Familie – Mann, Kindern, Stieftochter, die hochschwanger war, und deren Freund auf der Autobahn unterwegs, dann kam der Anruf! Ehrlich, so auf der Autobahn am Steuer habe ich erst gar nicht verstanden, worum es ging. Dann bin ich an einer Tankstelle abgefahren, um mich mal zu konzentrieren und klar, ich und wir alle haben uns natürlich sehr gefreut: das war auf der Rückfahrt vom Skiurlaub mit meiner ganzen Familie.

Mit welchen Gefühlen bist du an den Schnitt von „Große Freiheit“ gegangen?
Mit großer Freude – zum einen war es mein erstes Projekt nach meiner zweiten Karenz, also Elternzeit, ich war schon sehr arbeitshungrig. Die zweite Freude: Ich bin ein großer Fan von beiden Hauptdarstellern! Der Regisseur Sebastian Meise ist außerdem ein langjähriger Freund von mir. Es war also schlicht pure Freude, an dieses Projekt zu gehen. Das Drehbuch, das Sebastian und der Co-Autor Thomas Reider über acht Jahre entwickelt haben, war sehr stark. Und dann zeigte sich schon beim Sichten der ersten Muster die Stärke und Qualität der Arbeit aller Departments, und ich wusste, dass der Film wichtig sein wird für mich und meine berufliche Karriere. Ich hatte natürlich auch großen Respekt, weil es ein internationales Team war. Bei Editorinnen ist es ja oft so, dass die Verantwortung für größere Projekte einem leider erst später zugetraut wird, direkt nach der Elternzeit kämpft man da schon auch mit Unsicherheiten.

Wie habt ihr im Schnitt zusammengearbeitet?

Das war speziell, weil wir mitten in die Pandemie gerutscht sind und es daher während der Drehzeit eine Zwangsunterbrechung gab! Dadurch konnten wir eine ganze Zeitepoche bereits montieren, bevor die Dreharbeiten wieder aufgenommen wurden. Ich habe in unserem Landhaus montiert, Sebastian hat bei sich in Wien mit geschaut und dann haben wir uns sobald es erlaubt war, getroffen und diesen ersten Block in zwei Wochen zusammengefügt. Dadurch sind noch neue Szenen entstanden. Nach Drehende haben Sebastian und ich über den Zeitraum eines halben Jahres gemeinsam an der Montage gearbeitet, ein täglicher Dialog – auch außerhalb des Schnittraumes. Wir haben beide kleine Kinder, daher waren die Arbeitstage oft nur sechs Stunden pro Tag.

Ich finde die Idee weniger Stunden am Tag zu schneiden, gar nicht schlecht. Wie hat sich das auf die Produktivität ausgewirkt?
Kürzere Arbeitstage verlangen eine sehr fokussierte Arbeitsweise, das heißt brutto Zeit wird zur netto Zeit. Ich sitze dann halt abends manchmal noch zuhause an etwas, oder man verlegt Diskussionen auf Telefonate, die man führt, wenn die Kinder im Bett sind. Das ging bei „Große Freiheit“ sehr gut. Ich bin jetzt in einem Projekt mit einer Regisseurin, deren Arbeitsweise funktioniert ganz anders. Im jetzigen Zustand würde ich mir wünschen, dass ich längere Arbeitseinheiten zur Verfügung hätte, um direkt am Avid verschie- dene Gedankenspiele und Erzählstrukturen auszutesten. Es ist also von Projekt zu Projekt unterschiedlich.

Filmstill aus „Große Freiheit”: Franz Rogowski als Hans

Die Idee, in drei verschiedenen Zeitebenen zu arbeiten, die jeweils durch ein Jahrzehnt getrennt sind, ist ja gestalterisch ganz spannend. Da wird sich das Kameradepartment wahrscheinlich den einen oder anderen Gedanken gemacht haben. Hast du im Schnitt versucht, diese einzelnen Ebenen voneinander zu unterscheiden?
Durch das über Jahre sehr präzise ausgearbeitete Drehbuch gab es seitens der Regie klar den Wunsch und die Vorgabe, so genau wie möglich am Buch zu bleiben. Die Handlung spielt in den 1960er Jahren und springt einmal in die 1940er und einmal in die 1950er Jahre zurück. Das funktioniert filmisch so, dass die Hauptfigur Hans, von Franz Rogowski gespielt, immer wenn er in Isolationshaft gesteckt wird, im Schwarz verschwindet und wenn er aus dem Schwarz wieder herauskommt, die Erzählung in einer neuen Zeitebene weitergeht. Trotz dieses klaren Prinzips war über lange Zeit während der Montage die Orientierung, in welcher Zeitebene man sich gerade bewegt nicht immer eindeutig. In einem Buch erklärt sich die Zeit eindeutiger, man kann ja zurückblättern oder hat Jahreszahlen am Seitenrand zur Orientierung.

Wir haben sogar einmal versucht, die Geschichte chronologisch zu erzählen, haben das aber sofort verworfen. Nicht zuletzt geht es darum, dass Hans elliptisch über Jahrzehnte nicht aus dieser Verbotenheit hinauskommt. Das funktioniert einfach weniger gut in einer chronologischen Abfolge. Außerdem hätte die Handlung so am Ende des Zweiten Weltkriegs begonnen, was eine Gewichtung auf das Nazi-Thema geschaffen hätte. Die Idee aus der „Große Freiheit“ entstand, beruht aber auf dem § 175, der bis 1997 in Deutschland in Kraft war! Der besagt, dass Homosexualität strafbar ist. Der Regisseur wollte darstellen, dass da jemand von der Nazizeit bis in die Filmgegenwart verfolgt wurde, weil er liebte, wie er nicht lieben durfte, und es war unumgänglich, das mit dieser verschränkten Art zu erzählen, dass er wieder und wieder eingesperrt, gefangen und ohne Ausweg ist.

Wie habt ihr denn diese Zeitsprünge verständlich gemacht?
Das war ein langer Prozess, der lässt sich schwer in Kürze beschreiben, das liegt viel an der Gewichtung der einzelnen Erzählstränge und der Entwicklung der Figuren. Zusätzlich haben wir dann auch vieles über die Tonebene gespielt. Angedacht war mit der Isolationshaft ist Licht aus, Ton aus, und die Geschichte erzählt sich nach dieser Zäsur woanders weiter. Damit hätte sich das Prinzip Zeitsprung erklärt. Aber das wirkte, als würde die Technik ausfallen! So haben wir dramaturgische Geschichten im Ton gebaut, die im Buch nicht beschrieben waren. Ein Beispiel: Hans wird in diese Isolationszelle geführt, mit einem Blechkübel, und wirft diesen auf den Boden. Man hört den Blechkübel scheppern und plötzlich reißt dieses Geräusch ab und wir hören stattdessen panisches Atmen. Ein Jumpcut im Ton sozusagen, und in dem Moment, wo die Türe aufgeht und Hans aus dem Schwarz hervortritt, bestätigt das Auge was das Ohr bereits gehört hat: Wir schauen auf einen jüngeren oder älteren Hans. Ein anderes Beispiel der erste Sprung zurück in die 1940er Jahre: man hört vor dem Zeitsprung im Off die Stimme eines Wärters der 1960er, dann kommt im Schwarz im Ton ein Wärter der Englisch redet. Der Zuseher kann also schon kombinieren: Eine englische Stimme, die in einem deutschen Gefängnis Kommandos erteilt, das war nur in der Nachkriegszeit möglich.

Filmstill aus „Große Freiheit”: Franz Rogowski als Hans
Die Übergänge zwischen den Zeitebenen wurden besonders durch Toneffekte erzählt. (Foto: FreibeuterFilm / Crystel Fournier)

 

Sind trotz der Treue zum Buch noch andere Aspekte im Schnitt entstanden?
Der Hauptcharakter war sehr stoisch angelegt. Mir fehlte während der drehbegleitenden Arbeit dann doch ein wenig das Durchscheinen von Verzweiflung. Im Teil der Geschichte, der in den 1950er Jahren spielt, habe ich Sebastian und Franz dazu angeregt, dass Hans mal so richtig aus Verzweiflung sich wehrt, oder schreit. Stimmungen, die wir eindeutig während der Montage oder aufgrund der drehbegleitenden Montage vertieft und verstärkt haben. Die Liebesbriefe, die sich Oscar und Hans hin und her schicken in den Zellen, die gab es bereits im Buch, aber ohne, dass der Zuseher ihre Inhalte erfährt. Wir haben dann während der Montage beschlossen, diese textlich auszuformulieren, dem Publikum mehr zu verraten. Oscar, die große Liebe von Hans, nimmt sich im Film ja das Leben. Der gesamte Suizid wurde gedreht, und das haben wir im Schnittraum alles gekippt. Den Tod haben wir dann über diesen Liebesbrief, einen Abschiedsbrief, angekündigt, eine Vorahnung gebaut, anstatt das Grauen zu zeigen. Da sind wir zu dritt im Schnittraum gesessen, der Drehbuchautor, der Regisseur und ich, und haben Liebesbriefe geschrieben, mit der Intention sich zu verabschieden. Das war eine wunderschöne Arbeit!

Du schneidest sowohl dokumentarische als auch fiktionale Kinoprojekte. Was machst du lieber?
Am Anfang meiner Karriere konnte ich mir das nicht aussuchen, man ist einfach dankbar für jedes spannende Projekt, das einem angeboten wird. Ich habe es vermieden, für TV-Produktionen oder Werbung zu arbeiten. Dafür könnte ich nicht die nötige Leidenschaft entwickeln, die ich auch brauche, um zu arbeiten. Obwohl meine erste abendfüllende Arbeit ein Kinospielfilm war, wurden mir danach nur Dokumentarfilme angeboten. Ich finde, dass Dokumentarfilm der Montage eine große gestalterische Freiheit gibt. Es kann aber auch wirkliche Knochenarbeit sein.

Meine Mutter ist Restauratorin und vielleicht liebe ich deshalb die Feinarbeit beim Montieren so sehr. Aber da kommt man oft beim Dokumentarfilm nicht hin. „Große Freiheit“ ist ein gutes Beispiel für die Auswirkung, die Feinarbeit in der Montage für den Sog und die Verdichtung in einem Film haben kann. Wir hatten acht Wochen gearbeitet und waren dann eigentlich mit dem Rohschnitt fertig. Somit blieben weitere acht Wochen für den Feinschnitt. Für Finetuning habe ich eine große Leidenschaft und bestimmt eine grö- ßere Stärke als im groben, bildhauerischen Herstellen einer Geschichte. Deshalb bin ich momentan sehr zufrieden beim Spielfilm.

Wenn du sagst, die Feinarbeit, die du gerne machst, ist beim Dokumentarfilm nicht so ohne Weiteres möglich: Ist das ein Zeitproblem?
Ja, es ist zumeist ein Zeitproblem. Oft ist einfach die Entwicklungsphase, die konzeptuelle Phase, bis ein Film dramaturgisch greift, sehr aufwendig. Ganz zu schweigen von sehr großen Mengen an Drehmaterial, das man sich ja erst mal aneignen muss, bevor man mit der Montage beginnen kann. Das ist aber normal, das ist immanent in der dokumentarischen Form, denn man sucht ja etwas. Leider ist dann selten genug Geld und Zeit für die Phase des Feinschnitts da. Es gibt eine Studie des BFS, die darlegt: Je länger im dokumentarischen Bereich montiert wird, desto erfolgreicher ist der Film, sehr vereinfacht ausgedrückt.

Generell gilt für mich aber: Wenn man sich in der Rohschnittphase, im fiktionalen oder non-fiktionalen, sehr abmüht, wenn man lange gräbt und umwälzt, dann braucht man eine Atempause, um noch einmal im Feinschnitt mit derselben Freude und Energie präzise einen Flow und den richtigen Rhythmus zu erarbeiten, die kleinen berührenden Momente zu unterstreichen und zu betonen. Regisseurinnen sind mit ihren Projekten oft schon auf einer langen Reise, wenn sie bei uns im Schnittraum landen. Daher ist es notwendig, Neugierde, Faszination und das Gefühl von Aufregung aus der Drehzeit in die Zeit der Montage weiterzutragen. Das ist für mich neben der dramaturgischen Arbeit einer der wichtigsten Aspekte bei der Arbeit. Montage ist nicht nur Denkarbeit, Emotionen und Leidenschaft sind genauso wichtig für das Editieren von Geschichten. [15280]

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