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DoP Matthias Bolliger dreht „Ein Mann seiner Klasse“ mit Sony RIALTO 2

Kreative Freiheit im Kompaktformat

Was bedeutet es, in einem reichen Land in Armut Kinder großzuziehen und welche Auswirkungen hat die massive Ungleichheit auf die Chancen dieser Kinder? Um diese Fragen dreht sich der autobiografische Roman „Ein Mann seiner Klasse“ von Journalist und Schriftsteller Christian Baron, in dessen Mittelpunkt der zehnjährige Christian und seine Familie stehen. Die literarische Vorlage wurde im Sommer 2023 von der Saxonia Media als 1990er-Jahre Fernseh-Eventfilm realisiert. Regie führte Marc Brummund, für die Bildgestaltung zeichnete DoP Matthias Bolliger verantwortlich. Er setzte den Stoff mit dem RIALTO-System der Sony VENICE 2 um und berichtete in unserem Heft 12.2023 von seinen Erfahrungen.

Sony Venice 2 und Rialto 2
Foto: Florian Seemann

Eine historische Romanverfilmung mit einem Kind in der Hauptrolle, innerhalb von 27 Drehtagen in Deutschland nach den hiesigen Kinderschutzbestimmungen gedreht? Ich schluckte etwas – das ist in der Tat sehr ambitioniert und schwer zu realisieren! Zunächst standen Besetzung und Drehbuchveränderungen als Stellschrauben im Raum: Kann man ein Zwillingspaar besetzen? Im Casting überzeugte allerdings der neunjährige Camille Loup Moltzen in der Hauptrolle des Christian derart, dass sich dieser oft genutzte Lösungsansatz in der frühen Vorbereitungsphase erübrigte. Also standen 27 Drehtage bevor mit einem Kind, das nach den gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland jeden Tag maximal fünf Stunden am Set sein und drei Stunden davon aktiv vor der Kamera drehen darf. Es blieb also nur eine Option: Double oder Doubles. Was ließ sich mit einem Double drehen und wo findet man entsprechende „Look-alikes“? Eine aufwendige Suche begann.

Leicht und flexibel

Visuell stützten wir uns von Anfang an auf ein simplifiziertes 1990er-Jahre-Vintage-Konzept mit einer Hauptkamera, allerdings in Vollformat gedreht. Gerade Letzteres war Regisseur Marc Brummund wichtig. Aber welche Vollformat-Kamera eignet sich am besten als leichte und flexible Handkamera? Nach meinen Erfahrungen mit der ARRI Alexa Mini LF beim Science-Fiction Drama „Das Haus“ stand diese Kamera zunächst zur Debatte. Doch war sie mir komplett aufgeriggt immer noch zu schwer und unhandlich für einen Film, der vieles aus Kindshöhe zeigen würde. Bei einem Praxis-Seminar an der Filmakademie Baden-Württemberg fiel mir das RIALTO-System der dort vorhandenen Sony VENICE auf. Die Idee, dieses ehrgeizige Projekt mit dem Nachfolgemodell der Sony VENICE 2 mit per Kabel abgesetztem Kamerakopf zu drehen, war geboren.

DoP Matthias Bolliger mit der Sony VENICE 2
DoP Matthias Bolliger mit der Sony VENICE 2 (Foto: Daniel Dornhöfer)
Der flexible Kamerakopf der VENICE 2 brauchte nun auch entsprechend leichte Vollformat-Linsen mit einem dezidierten Vintage-Look. Ich erinnerte mich an den ISCO4all Objektiv-Satz von Schneider- Kreuznach mit deren kompakten Primes. Nach einem Shootout mit weiteren Optiken war schnell klar: Die leichten Vollformat-Gläser mit Vintage-Coating und entsprechendem optischen Design sol- len es sein. Schneider-Kreuznach stellte mir für das Projekt noch einen Satz Radiant Black Glasfilter zur Verfügung. Das war eine Weltpremiere, denn diese Filterserie befand sich zu dem Zeitpunkt noch im Entwicklungsstadium und ich war der erste DoP, der sie testen und für ein Langfilmprojekt einsetzen konnte. Der „Back-to-the-Nineties“-Look war komplett.

Sony RIALTO 2

Das Sony RIALTO Extension System 2 separiert den Sensorblock vom eigentlichen Kamerabody. Dies ermöglicht ein flexibles Kamerasystem im Vollformatmodus ohne Qualitätseinschränkungen bei der Aufzeichnung, prädestiniert für Handkamera, Gimbal-, Steadicam- oder Kraneinsätze. Es sind zwei Kabellängen mit 3 Meter und 12 Meter weit abgesetztem Kamerakopf möglich. Auch in der 12-Meter-Version arbeitet das RIALTO-2-System ohne Zwischenverstärkung, was beim Vorgänger RIALTO 1 noch nötig war. Dabei wiegt der Kamerakopf ohne Zubehör und Optik nur etwas mehr als zwei Kilogramm.


Vereinfachte Auflösung

Den Cast der Romanverfilmung bildeten neben dem jungen Camille Loup Moltzen in der Hauptrolle Leonard Kunz und Mercedes Müller als seine Eltern sowie Svenja Jung als Tante Juli. Regisseur Marc Brummund legte Wert darauf, mit einer konkreten Planung ans Set zu gehen, um mit der wertvollen Kinderzeit so effizient wie möglich umzugehen. Trotzdem sollte Freiraum für Ideen und Improvisation vor der Kamera bleiben. Es etablierte sich das System, dass Regie, DoP und 1. Regieassistenz frühmorgens im Hotel zusammenkamen, um die am Drehtag geplanten Einstellungen erneut abzugleichen und mit diesem Planungs-Freshup ans Set aufzubrechen. Wirklich zentral waren neben dem ausgeklügelten Drehplan mit nun meist mehreren Doubles pro Drehtag die vereinfachte Auflösung mit klaren Gewichtungen, welche Einstellungen wann tragen sollten.

DoP Matthias Bolliger, Leonard Kunz (Ottes), Camille Loup Moltzen (Christian) und Regisseur Marc Brummund am Set
DoP Matthias Bolliger, Leonard Kunz (Ottes), Camille Loup Moltzen (Christian) und Regisseur Marc Brummund am Set (Foto: Daniel Dornhöfer)

Mobiles Setup

Um das boxartige RIALTO-System nun praktisch einsetzen zu können, war ein riggtechnisches Update unumgänglich. 1AC Florian Seemann entwarf für diese Aufgabenstellung einRigging-Konzept, auf meinen Wunsch mit der Option, einen Sucher direkt am Rialto-System anschließen zu können. In- teressanterweise fand ich im Netz keine richtigen Vorbilder dazu. Meist war das RIALTO-System in Gimbals, Hardmounts ohne Monitoring oder direkt mit einem Onboard-Monitor versehen. Mir schien dies aber für einen Sommerfilm unpraktisch und ich wollte einen klassischen, abgeschirmten Viewfinder am abgesetzten Kamerakopf nutzen.

Erste Rückfragen mit Sony ergaben, dass es ein drei Meter langes Verlängerungskabel für den originalen VENICE-Sucher gibt. Aber was nützen drei Meter Verlängerung, wenn der Rialtokopf bis zu 12 Meter über das Glasfaser-Extension-Kabel abgesetzt werden kann? Also suchte ich nach einer eigenen Lösung auf HD-SDI-Basis. Beispielsweise wäre ein Zacuto Gratical Viewfinder in Frage gekommen, aber ich erinnerte mich an den VaricamLT-Sucher AU-VCVF20GJ, der als einer der wenigen Kamerasucher überhaupt nicht über einen proprietären Spezialanschluss des Herstellers verfügt, sondern über ein klassisches HD-SDI-Signal mit der Kamera verbunden wird. Bei Mediatec in Köln wurde ich schließlich fündig und kaufte mir diesen Profi-Sucher.

Mit Unterstützung von Daniel Buchelt von Cine-Mobil sowie ARRI PCA entstand so aus der VENICE 2 ein vielseitig einsetzbares „Schweizer Taschenmesser“. Alle Shots wurden in dieser Konfiguration mit Extension-Kabel umgesetzt, auch wenn gelegentlich Kamerakopf und Body mit einer langen Schwalbenschwanzplatte zusammengeschoben wurden. Immer bestand die Option, das Sensorelement abzudocken und als versatile Mini-Kamera bis zu zwölf Meter abzusetzen. Ein einziges Mal mussten wir während einer längeren Plansequenz den Hauptbody mitführen, sonst stand er meist am Set in einer Ecke und diente als Basis zum Einstellen von Weißabgleich und LUTs. Die SDR-LUTs für Innen- und Außen-Motive wurden im Vorfeld in Zusammenarbeit mit Senior Colorist Andre Funk bei D-Facto Motion in Hamburg erstellt. Je drei Kontrastvarianten der LUTs für Außen/Tag und Innen/Tag begleiteten mich durch den Dreh.

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