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Große Umfrage zur Lage der Filmschaffenden

Interview zur Umfrage: Endlich Zahlen zum Handeln (2/2)

Die Filmschaffenden e.V. hat die 2015er-Umfrage zur aktuellen Lage der Filmschaffenden in Deutschland veröffentlicht. Wir sprachen mit Vorstandsmitglied Reinhold Dienes über die Studie. Hier der zweite Teil des Interviews aus dem Film und TV Kameramann Ausgabe 11/2016, in dem Dienes über Qualifikation, Widersprüche in der Zufriedenheit und der weiteren Pläne mit den Daten spricht.

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Kein Wunder, dass bei diesen Zahlen die Altersvorsorge leidet. (Bild: Quelle: Langer Media Consulting/Die Filmschaffenden e.V.)

Stichwort Ausbildung: Gibt es eine Diskrepanz zwischen Ausbildung und Qualifikation?

Wir sehen uns einem Paradox gegenüber. Auf der einen Seite gibt es ungeheuer viele Leute, die etwas in den Medien machen wollen. Die klug, offen, flexibel sind, schnell einsteigen. Also würde man sagen, da müssen wir uns keine Sorgen machen, der Nachwuchs ist gesichert. Auf der anderen Seite haben wir aber sehr viele Leute, viele Kollegen, Mitarbeiter, denen durch dieses Quereinsteigen sehr viele Grundlagen fehlen. Also z. B. von den Beleuchtern gibt es nicht sehr viele, die Elektriker sind und die die entsprechenden Scheine haben, dass sie überhaupt ein Aggregat erden dürfen.

Wenn sie in die Produktion (Aufnahmeleiter, Produktionsleiter) gehen, da gibt es wenig Voraussetzungen. Wir schreiben, das Berufsbild sollte eine kaufmännische Ausbildung haben, aber oft gibt es Einsteiger, die einfach eine gute Umgangsform haben. Das wird praktisch nicht verlangt, dass jemand einen bestimmten Abschluss hat. Und wenn jemand einen Abschluss hat, heißt das noch nichts über seine spezielle Qualifikation.

Führt das auch zur Frustration dem Job gegenüber?

Wir haben in der Umfrage festgestellt, dass 70 Prozent der Beschäftigten von dem Beruf letztendlich enttäuscht sind. Ich male mir aus, dass das besser wird, wenn die Qualifikation ansteigt und die Berechenbarkeit des Berufs sich verbessert.

Wie passt das damit zusammen, dass die Mehrheit trotzdem gerne zur Arbeit geht? Ja, das scheint sich zu widersprechen. 70 Prozent sind vom Beruf enttäuscht, aber über 80 Prozent geben an, jeden Tag gerne zur Arbeit zu gehen. Wenn man das genauer anschaut, ist es so: Auch ein Aufnahmeleiter fühlt sich den Kreativen zugehörig. Wenn der abends in der Kneipe sitzt, wird er als Aufnahmeleiter immer noch respektvoller betrachtet als ein gut verdienender Deutschehrer. Ich glaube, dass diese Branche einfach hoch im Kurs steht. Wenn wir da das statistische Bundesamt konsultieren, ich glaube, wir verdienen zwei oder drei Prozent schlechter als der Durchschnitt – das ist die gesamte kreative Branche. Wir verdienen nicht gut.

Sie formulieren in der Studie konkrete Forderungen. Gibt es bereits erste Gespräche mit der Politik oder den Förderungen?

Das absolut, ja. Wir wenden uns da direkt an den Gesetzgeber. Das sind Sachen, wo wir überall auf Zustimmung stoßen: Ja, das müssen wir machen, ja wir müssen so eine Bürgerrente einführen oder so, wie in der Schweiz oder was auch immer. Das sind so Fernziele, wo wir nicht auf schnelle Erfolge zählen können. Trotzdem müssen wir die Forderungen aufstellen.

Wir hoffen auf die Zusammenarbeit mit den Sozialausschüssen, mit denen arbeiten wir gern. Aber es ändert sich immer von Jahr zu Jahr und von einer Legislaturperiode zur nächsten. Wir sind daher immer froh, wenn wir eingeladen werden und unsere Probleme vortragen können. Wir sind zusammen mit ver.di und auch mit der Produzentenallianz gerne Partner der Parlamentarier. Denen liefern wir mit der Studie ja auch Daten, von denen sie weiterdenken und arbeiten können.

Gibt es auch etwas, das Sie in den Reaktionen der Politik ärgert?

Diese Begründung der FFA beziehungsweise auch des Bundes: „Wir haben nicht genug Leute, um zu überprüfen, ob die Bedingungen eingehalten werden, ob die Gagen richtig bezahlt werden, ob die Arbeitszeiten eingehalten werden.“ Das ist natürlich eine Schutzbehauptung. Die haben genug Leute. Jedes Mal, wenn ein Film fertig ist, kommen die Leute von der Wirtschaftsprüfung und prüfen jede Taxirechnung. Aber sie sehen sich außerstande, mal im Tagesbericht nachzusehen, ob die Arbeitszeiten eingehalten wurden? Oder die tatsächlich gezahlten Gagen mit der Vorkalkulation und den Tarifen zu vergleichen?

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Viel Work, wenig Life, keine Balance. (Bild: Quelle: Langer Media Consulting/Die Filmschaffenden e.V.)

Der Bundesrat hat vom Bundestag gefordert, dass die Filmförderanstalt auf soziale Arbeitsbedingungen zu achten hat. Und ich denke, das ist eine Forderung, die auch für die Förderungsanstalten der Länder und die FAA gelten sollte sowie für die öffentlichen Auftraggeber von ARD und ZDF und für Produktionsfirmen.

Das heißt, Sie haben nicht nur Forderungen an die Politik, sondern auch an sich selbst, die Branche?

Natürlich! Wir müssen uns als Filmschaffende wirklich begreifen. Dass wir da auch selbst eine Verantwortung für uns tragen. Die ganze Studie ist ja auf meinem eigenen, persönlichen Mist gewachsen. Ich bin seit 1978 in der Branche, damals habe ich „Neues aus Uhlenbusch“ als Aufnahmeleiter gemacht. Und ich war frisch gebackener Volkswirt und ein ganz miserabler Aufnahmeleiter.

Wirklich miserabel?

Ganz bestimmt! Das war mein erster Job und ich machte gleich eine Kinderserie. Kam frisch von der Uni als Volkswirt. Wir haben zehn Stunden am Tag mit Kindern gedreht. Ich hatte keine Ahnung gehabt über die Gesetzeslage. Daher weiß ich, dass wenigstens ein bisschen Ausbildung für diese Gewerke wichtig ist.

Wie werden jetzt die Daten weiter verarbeitet?

Wir haben schon eine Auswertung gemacht für das Land Thüringen. Die Staatskanzlei Thüringen war daran interessiert. Herr Langer hat dort die sozialen Daten vorgetragen und ist auf tiefe Betroffenheit gestoßen. Da waren auch die Verantwortlichen vom Sender eingeladen. Ich bewundere da die Landesregierung, dass sie sich wirklich da – mit auseinandersetzen will. Gerade in Mitteldeutschland sind die Gagen ganz erbärmlich, was das Fernsehschaffen angeht.

Dann haben wir für Baden-Württemberg eine eigene Auswertung, wie dort die Lage ist. Ich habe vom Bundesverband Produktion eine Anfrage, wie ist speziell die Lage der Beschäftigten in der Produktion, wie die Lage der Ausbildung, wie viele Quereinsteiger sind da. Also da lässt sich einiges herausholen. Wir werden einige der Daten einfach mal als PDF auf die Webseite stellen, so dass auch Interessierte da Zugang haben. Für ein – gehende Beschäftigung mit den Themen suchen wir gerne Kooperationspartner, denen wir dann die Daten zur Verfügung stellen werden.

ZUR BEFRAGUNG

Zur Erhebung der Basisdaten für die Studie wurden bundesweit Film- und Fernsehschaffende zur Teilnahme an einer Online-Befragung aufgerufen, die insgesamt 100 Fragen enthielt. Im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2015 nahmen bundesweit 3.827 Personen an dieser teil. Die Befrage wurde mit dem Online-Befragungstool „SurveyMonkey“ durchgeführt. Es wurden je nach Fragestellung unterschiedliche Frageformen angewandt, in der Regel Multiple-Choice mit der Möglichkeit einer einfachen Antwort bzw. einer Mehrfachantwort. In einigen Fällen wurde auch ein Freitext für die Bemerkungen und Hinweise der Befragten angeboten.

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(Bild: Quelle: Die Filmschaffenden e.V.)

Die Zahlen zur Grundgesamtheit wurden der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit für 2014 entnommen. Hierbei wurden die Wirtschaftsabteilungen 5911 „Herstellung von Filmen, Videofilmen und Fernsehprogrammen“ und 5912 „Nachbearbeitung und sonstige Filmtechnik“ betrachtet.

In den Wirtschaftsabteilungen wurden dann die Zahlen zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den ausschließlich geringfügig Beschäftigten übernommen und aus den jeweiligen Quartalszahlen das Jahresmittel gebildet. Zu der Gruppe der ausschließlich freiberuflich bzw. selbstständig Tätigen war keine Statistik auffindbar. Allerdings wurde in der Umfrage nach der vorwiegenden Beschäftigungsform gefragt. Der prozentuale Anteil der Befragten, die angaben, ausschließlich freiberuflich bzw. selbstständig tätig zu sein, wurde, bezogen auf das jeweilige Bundesland, hinzuaddiert.

Demzufolge betrug die Grundgesamtheit 35.802 Personen. Bei einer Beteiligung von 3.827 Personen beträgt die Beteiligungsquote somit 10,7 Prozent. Die Abschlussquote (Beantwortung aller gestellten Fragen) lag bei 72 Prozent.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Die Filmbranche, wie eigentlich fast jede Branche, wird zur Zeit durch technische Innovationen revolutioniert. Wer da nicht mitmacht landet am Ende der Kette. Derjenigen, der sich neuen Workflows öffnet hat den tollsten Job der Welt.

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