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Schnittkunst

Filmplus-2014-Ehrenpreisträgerin Barbara von Weitershausen

Barbara von Weitershausen ist die Ehrenpreisträgerin beim Kölner Forum für Filmschnitt und Montagekunst Filmplus 2014 (24. bis 27.10.). Oliver Baumgarten, der hier die ihr gewidmete Hommage-Reihe betreut, hat vorher schon mit der Editorin über ihren Werdegang und ihr Berufsverständnis gesprochen.

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© Hans-Albrecht Lusznat

Wann sind Sie mit dem Filmschnitt in Kontakt gekommen?

Barbara v. Weitershausen: Der Filmschnitt als berufliche Perspektive tauchte recht früh auf, denn eine Freundin meiner ­älteren Schwester war festangestellte Editorin beim BR. Ich fand den Beruf sehr spannend, aber sie hat mir damals abge­raten: zu viel Arbeit und kaum freie Wochenenden. Ich habe mir das dann ­erstmal ausreden lassen und wurde statt­dessen staatlich geprüfte Gymnastiklehrerin. Ich ­hatte den Plan, eine Gymnastikschule für Kinder aufzumachen, aber schon nach kurzer Zeit wusste ich: Das ist nichts für mich.

Eine Anzeige in der Süddeutschen Zeitung hat dann Ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Schnitt gelenkt?

Barbara v. Weitershausen: Genau, 1968 hat­te die Synchronabteilung von Beta Film ­jeman­den zum Anlernen als Schnittas­sis­ten­ten gesucht. Sie haben mich genommen, und so habe ich eine ganze Zeit lang Schleifen geklebt und Töne angelegt – an die Synchronisation von PIPPI LANGSTRUMPF mit Eva Mattes etwa kann ich mich noch erinnern. Allerdings ­wur­de das schnell ziemlich langweilig, und ich wollte ja zum Bildschnitt. Also habe ich ge­kündigt und mich an Herbert Taschner ge­wandt, einen Schnittmeister, den ich bei Beta kennengelernt hatte, ob er etwas für mich hätte. Tatsächlich suchte er dringend eine zweite Assistenz, und so fing ich bei ihm an. Herbert Taschner war ja mit Erfolgen wie KOHLHIESELS TÖCHTER und einigen EDGAR-WALLCE-Filmen im Unterhaltungsfilm sehr etabliert.

Woran hatte er denn damals ­gearbeitet?

Barbara v. Weitershausen: Wir schnitten zu dieser Zeit diese ganzen REPORT-Filme für Wolf C. Hartwigs Rapid Film. Die  ­wurden damals ohne Ton gedreht, das heißt, die Schau­spieler haben ihre Texte gesprochen, und der Editor musste, halb mit Buch, halb mit Lip­pen­lesen, sich einen Reim draus machen. Später kam dann ein Dialogregisseur dazu, um das Ergebnis zu che­cken, andere Texte drauf­zulegen und das Ganze lippen­synchron zu bekommen. Ich musste in erster Linie per Hand den Film numerieren, Ausschnitte weg­sortieren, auch mal Geräusche anlegen – soviel habe ich da gar nicht gelernt. Insgesamt habe ich das trotzdem fast zwei Jahre gemacht, einen Film nach dem anderen, immer frei­schaffend Film für Film ­separat angestellt. Die­se REPORT-Filme wurden ja wie am Fließ­band produziert.

Mehr oder weniger zur selben Zeit haben Sie dann den Schritt von »Papas Kino« zu den »Jungfilmern« gemacht – wie kam das?

Barbara v. Weitershausen: Ich hatte mich mit Peter Przygodda angefreundet, der mich ­immer mal wieder bat, ihm hier und da zu helfen – auch schon mal für umsonst. Das habe ich ziemlich oft gemacht damals, weil ich großen Spaß an der Arbeit hatte. Bei Wim ­Wenders’ DER SCHARLACHROTE BUCHSTABE hat er mir 1971 erstmals die Schnittassistenz angeboten. Zunächst sollte ich nur die Töne an­legen, da­mit Peter sie dann schneiden kann – für mehr war anfangs kein Geld da. Dann aber ist soviel Material entstanden, dass Peter es nicht mehr bewältigen konnte, und ich wurde dann doch noch komplett beschäftigt. Und so habe ich auch Wim kennengelernt, und es kam dann Film auf Film, die ich mit Peter und den »Jung­filmern« gemacht habe, wie man damals ­Wenders, Geißendörfer und all die anderen genannt hat.

Hatten Sie bei Peter Przygodda denn die Gelegenheit, mehr über den Bildschnitt zu lernen?

Barbara v. Weitershausen: Auf jeden Fall, das war bei Peter wirklich toll. Die alte Gene­ra­tion der Editoren versteckte sich immer hinter einem Vorhang und schnitt so vor sich hin. Bei Peter war das anders, er hat mir viel gezeigt und mich nach meiner Meinung gefragt. Ich durfte sehr schnell auch mehr machen, mal den Ton bearbeiten, Atmos aussuchen und ­anlegen und dann auch mal kleine Szenen schnei­den. Über das Zuarbeiten habe ich als Assistentin bei Peter von der Arbeit mit dem Ton langsam das Gefühl fürs Bild bekommen. Es hat ja auch nicht lange gedauert, dass ich bei den Filmen von Wim Wenders die Tonbearbeitung machte und das bis hin zur Mischung begleitete. Mein Verständnis für das Bild ist dadurch immer weiter gewachsen.

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Barbara v. Weitershausen mit Wim Wenders 1982 in New York. © Archiv Barbara v. Weitershausen
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Otto Sander (links, †12.9.2013) und Martin Olbertz in IN WEITER FERNE SO NAH – 1993, Regie: Wim Wenders; Bild: Jürgen Jürges, BVK; Szenenbild: Albrecht Konrad; Montage: Peter Przygodda, BFS, (†2.10.2011). © Filmverlag der Autoren

Noch bis IN WEITER FERNE SO NAH 1993 haben Sie den Tonschnitt bei Wenders gemacht. Haben Sie die Tonebene gegenüber der Bildebene nie ganz aus den Augen verloren?

Barbara v. Weitershausen: Ton ist für mich ganz wichtig beim Film. Und während des Bildschnitts hat man ja immer auch recht klare Vorstellungen von der Tonebene. Heute wird diese vom Sounddesigner und Sound Editor bearbeitet, was an sich hervorragend funktioniert. Wichtig ist nur, sich bei der Tonbe­spre­chung gründlich darüber auszutauschen, eben damit die Vertonung am Ende ideal mit dem Rhythmus des Bildes harmoniert.

Gehört für Sie das Finden des korrekten Rhythmus zur ersten Aufgabe eines jeden Editoren?

Barbara v. Weitershausen: Sicher – einerseits. Andererseits kann ich es bei Sichtungen aber auch nicht mehr hören, wenn jemand einem Gefühl folgend sagt, der Rhythmus stimme ­irgendwie noch nicht. Das sagt sich immer sehr leicht und ist zu einer Floskel ge­worden, die alles meinen kann und doch wieder nichts.

Wie aber finden Sie Ihren Rhythmus, wie gehen Sie an das Material heran, das Sie auf den Tisch bekommen?

Barbara v. Weitershausen: Ich schaue mir das Material intensiv an. Ich lasse mir von meiner Assistentin die einzelnen Clips einer Einstellung hintereinanderweg zu einer einzigen ­Sequenz zusammenfügen. Das schaue ich mir in Ruhe an und entwickle dann schnell ein Gefühl, wie ich einsteigen kann. Ich lese in der Schnittphase nie das Drehbuch. Wenn ich weiß, es handelt sich um ein interessantes ­Projekt mit Regisseuren, mit denen ich gerne ­arbeite, dann lese ich das Buch oft sogar überhaupt nicht. Ich lasse zunächst ausschließlich das Material sprechen. Das Material muss mir sagen können, wie die Szene funktioniert. Wenn ich mal gar nicht weiterkomme, dann schlage ich natürlich im Drehbuch nach und kann daraus dann zumindest ersehen, wie die Szene ursprünglich mal gemeint war.

Sie schauen also nicht, was muss das Material leisten können, sondern erstmal, was das Material aus sich heraus leistet…

Barbara v. Weitershausen: …woraus dann zum Teil auch andere Dinge entstehen als im Buch intendiert. Da kann der Regisseur dann schon mal überrascht sein. Grundsätzlich aber ist der erste Rohschnitt, den ich mache, noch wirklich roh, es ist fast alles noch drin. Auch das habe ich von Peter gelernt, wirklich mein Mentor in Bezug auf Filmmontage: erstmal alles in den Rohschnitt stecken, um sich die Möglichkeiten offen zu halten und davon ausgehend dann immer weiter zu reduzieren und zu verdichten.

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Moderner Klassiker: Wim Wenders’ Film DER STAND DER DINGE – 1982, Bild: Henri Alekan; Fred Murphy; Martin Schäfer. © Filmverlag der Autoren

Wie beschreiben Sie Ihre Hauptaufgabe auf dem Weg zur Endfassung der Montage?

Barbara v. Weitershausen: Für mich ist ein guter Schnitt, wenn ich ihn nicht bemerke. Auch bei Abnahmen zum Beispiel wird ja sehr selten wirklich über die Montage gesprochen. Wenn sie kaum wahrnehmbar ist, wenn sie den Erzählfluss perfekt herstellt und die Illusion unterstützt, dann wird sie im Grunde als selbstverständlich hingenommen. Darin sehe ich eigentlich die Essenz meiner Arbeit. Mich stört es, wenn oft unbegründet am Avid nach­träglich, weil es eben technisch geht, Effekte hinzugefügt werden. Das sind technische Raffi­nessen, die ausgestellt werden, aber die Geschichte in keiner Weise voranbringen. Im Gegenteil: Mich bringen solche Effekte raus aus der Erzählung. So gesehen ist für mich eine gute Montage, wenn der Fluss einer Erzählung nicht durch Effekte unterbrochen ist, sondern sich unsichtbar fügt.

Außer der Palette an Effekten – was hat die ­Digitalisierung an Ihrer Arbeit verändert?

Barbara v. Weitershausen: Der Vorteil des Digitalschnitts ist, dass man sehr leicht mal eine andere Version einer Szene ausprobieren kann; der Nachteil aber, dass man dann kein Ende findet und plötzlich vor fünf Versionen sitzt, und keiner weiß wirklich, welche nun die beste ist. Das gefällt mir grundsätzlich nicht, dieses: »Mach mal schnell dies, mach mal schnell das.« Das macht mich nervös. Und vielleicht liegt das daran, dass ich zwar digital schneide, aber noch immer analog denke. Ich probiere einfach nicht so viel aus, ich habe den Analogschnitt, als jedes Umschneiden noch richtig Mühe machte, so verinnerlicht, dass ich mich noch heute früh für eine Version ent­scheiden kann. Wie mit dem Fettstift markiere ich »in« und »out«, und dann sitzt der Schnitt, ohne zig Mal hin- und herfahren zu müssen. Es ist aber keinesfalls so, dass ich heute noch analog schneiden will. Im Gegenteil, auch ich bin froh, mich mehr ausprobieren zu können.

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Cosma Shiva Hagen und Tobias Schenke in DAS MERKWÜRDIGE VERHALTEN GESCHLECHTSREIFER GROßSTÄDTER ZUR PAARUNGSZEIT – 1998, Regie: Marc Rothmund; Bild: Hans-Günther Bücking, BVK; Montage: Barbara v. Weitershausen. © Buena Vista International

Wann haben Sie den Wechsel vollzogen?

Barbara v. Weitershausen: Marc Rothe­munds DAS MERKWÜRDIGE VERHALTEN GESCHLECHTSREIFER GROßSTADTER ZUR PAARUNGSZEIT war 1997 mein erster Film am Avid. Obwohl ein großer Film, war ich mir damals ganz sicher, das hin­zubekommen – einer der wenigen Vorteile von Waldorfschülern: keine Angst vor neuen Dingen. Ich hatte da wenig Ehrfurcht vor, weil mir auch klar war, dass ich den Computer nicht von ­innen studieren muss, um mit einem Schnitt­programm arbeiten zu können. Viele Kollegen hatten beim Umbruch damals das Handtuch geschmissen.

Die Bandbreite Ihrer Filme vom Autorenfilm zur Beziehungskomödie, vom Kino­dokumentarfilm zur Fernsehserie, vom Künstlerfilm zum Kinderfilm fällt auf. Macht es für Ihre Arbeit keinen Unterschied, welcher Natur ein Film ist?

Barbara v. Weitershausen: Im Herangehen nicht, in der Motivation schon: Das eine mache ich mit großem Vergnügen, das andere vielleicht vorrangig, um Geld zu verdienen. Trotzdem ist jeder Film für mich immer wieder etwas völlig Neues. Egal ob ein Wenders-Film oder eine Folge von DER KÖNIG (Sat 1, 1994 – 1998, Anm. d. Red.) – ich möchte mich in jede Geschichte einfühlen. Und ich sehe ja am spezifischen Material, das ich bekomme, was ein Film will und was ein Film braucht. Für einen eher formatierten Fernsehfilm be­kom­me ich ja bei­spielsweise gar nicht das Mate­rial, um mich selbst so einzubringen wie etwa bei Rebecca Horns Film BUSTER’S BEDROOM (DE/CA/PT 1991, Bild: Sven Nykvist, Anm. d. Red.). Was ich vielleicht nicht so beherrsche, ist Action zu schneiden, dafür bin ich eher gut darin, einen emotionalen Bogen zu spannen. Und diesbezüg­lich gibt es zwischen Autorenfilm und Prime­time-Fernsehen keinen so großen Unter­schied: Ich lasse das Material auf mich wirken und helfe, den Kern der jewei­ligen Geschichte herauszuarbeiten.

Aber hat ein Kinofilm nicht doch auch andere Voraussetzungen? Wie war das denn beispiels­weise bei Heinrich Breloers BUDDENBROOKS, den Sie ja als TV-Zweiteiler und als Kinofilm montiert haben?

Barbara v. Weitershausen: Auch hier habe ich zunächst die Langfassung, die alles Ge­drehte enthielt, als Rohschnitt gebaut. Und es gab ins­gesamt wirklich sehr viel Material. Aus diesem Rohschnitt habe ich zuerst die Fern­sehfassung geschnitten, zweimal 90 Minuten. Und aus dieser Fernsehfassung ist dann die kürzere ­Kinofassung entstanden. Es gab für beide Fassungen je ein Drehbuch, aus denen zumindest zu ersehen war, welche Szenen nicht für die Kinofassung eingeplant waren. Und so konnte ich diese Version stückweise redu­zie­ren. Sie hat dann im Vergleich zum Zweiteiler natürlich auch einen eigenen Rhythmus be­kommen, auch ein eigenes innerszenisches Tempo. Man kann ja elegische Szenen nicht einfach so runterkürzen. Auch Totalen wirken im Kino ganz anders, brauchen viel mehr Raum und müssen dadurch auch länger stehen.

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Die von der Bavaria 2007 unter der Regie von Heinrich ­Breloer pro­duzierte BUDDENBROOKS-Verfilmung ist als Kino- und als zweiteiliger ­TV-Film herausgekommen. Hier eine Szene um das berühmte Geschäft mit der auf dem Halm verkauften Ente herum mit Fedja van Huêt als Hagenström (l.) und Mark Waschke als Thomas Buddenbrook (r.). Bild: Gernot Roll, BVK; Szenenbild: Götz Weidner, VSK. © Warner Bros. Germany

Vermutlich kommen auch die Schauspieler anders rüber? Spüren Sie als Editorin eine besondere Verantwortung den Schauspielern gegenüber?

Barbara v. Weitershausen: Bei Schauspie­lern ist es ja so: Wenn du sie schneidest, kennst du sie in- und auswendig, kennst jede Marotte, den Wimpernschlag bei bestimmten Emotionen, das Züngeln vor jedem Satz. Treffe ich dann einen auf der Straße, denke ich immer: Wieso grüßt der denn nicht? Ich kenne ihn in all seinen Facetten, und es gehört ja zu meiner Aufgabe, ihn so gut aussehen, so gut rüber­kommen zu lassen wie möglich.

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Ein großes Interview mit Schnittmeister Peter Przygodda, BFS, der 2008 den Filmplus-Ehrenpreis erhielt und am 2.10.2011 starb, findet sich bei uns in der Printausgabe 11/2008, S. 6 ff.

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